Artikel 34
Die Gesetze werden vom Parlament beschlossen. Durch Gesetz werden geregelt:
- die staatsbürgerlichen Rechte und die den Staatsbürgern zur Ausübung
ihrer Grundrechte gewährten grundlegenden Garantien; die den Staatsbürgern
durch die Erfordernisse der nationalen Verteidigung auferlegten Verpflichtungen
hinsichtlich ihrer Person und ihres Vermögens;
- die Staatsangehörigkeit, der Personenstand, die Rechtsfähigkeit, das
eheliche Güterrecht sowie das Erb- und Schenkungsrecht;
- die Festlegung der Verbrechen und Vergehen sowie die darauf stehenden
Strafen, das Strafverfahrensrecht, die Amnestie, die Schaffung neuer Kategorien
von Gerichtsbarkeiten und die Rechtsstellung der Richter und Staatsanwälte;
- die Steuerbemessungsgrundlagen, die Steuersätze und das Erhebungsverfahren
für Steuern und Abgaben aller Art; die Regelung der Geldemission.
Durch Gesetz werden ferner geregelt:
- das Wahlsystem der beiden Kammern des Parlaments und der lokalen Versammlungen;
- die Schaffung neuer Arten von öffentlichen Einrichtungen;
- die den zivilen und militärischen Staatsbeamten gewährten grundlegenden
Garantien;
- die Verstaatlichung von Unternehmen und die Überführung von Eigentum
öffentlicher Unternehmen in Privateigentum.
Durch Gesetz werden die Grundsätze geregelt für:
- die allgemeine Organisation der nationalen Verteidigung;
- die Selbstverwaltung der Gebietskörperschaften, ihre Zuständigkeiten
und ihre Einnahmequellen;
- das Unterrichtswesen; - das Eigentumsrecht, das Sachenrecht sowie das
zivil- und handelsrechtliche Schuldrecht;
- das Arbeitsrecht, das Koalitionsrecht und die Sozialversicherung.
Die Haushaltsgesetze bestimmen die Einnahmen und Ausgaben des Staates
gemäß einem Organgesetz und den darin festgelegten Bedingungen und Vorbehalten.
Die Gesetze zur Finanzierung der Sozialversicherung bestimmen die allgemeinen
Bedingungen ihrer finanziellen Ausgeglichenheit. Unter Berücksichtigung
der zu erwartenden Einnahmen bestimmen sie die Ausgabenzwecke gemäß einem
Organ gesetz und den darin festgelegten Bedingungen und Vorbehalten.
Programmgesetze bestimmen die Ziele der wirtschaftlichen und sozialen
Tätigkeit des Staates.
Die Bestimmungen dieses Artikels können durch ein Organgesetz näher geregelt
und ergänzt werden.
Artikel 35
Die Kriegserklärung bedarf der Zustimmung des Parlaments.
Artikel 36
Der Belagerungszustand wird im Ministerrat verordnet. Zu seiner Verlängerung
über zwölf Tage hinaus kann nur das Parlament ermächtigen.
Artikel 37
Die Bereiche, die nicht in die Gesetzgebung fallen, werden auf dem Verordnungsweg
geregelt. Texte in Gesetzesform, die für diese Bereiche erlassen wurden,
können nach Anhörung des Staatsrates durch Dekrete geändert werden. Diejenigen
dieser Texte, die nach Inkrafttreten dieser Verfassung ergehen sollten,
können nur dann durch Dekret geändert werden, wenn der Verfassungsrat
erklärt hat, daß sie gemäß dem vorangehenden Absatz Verordnungscharakter
haben.
Artikel 38
Die Regierung kann zur Durchführung ihres Programms das Parlament um die
Ermächtigung ersuchen, während eines begrenzten Zeitraumes durch gesetzesvertretende
Verordnungen Maßnahmen zu treffen, die normalerweise dem Bereich der Gesetzgebung
unterliegen.
Die gesetzesvertretenden Verordnungen werden im Ministerrat nach Anhörung
des Staatsrates beschlossen. Sie treten mit ihrer Veröffentlichung in
Kraft, werden jedoch hinfällig, wenn der Entwurf des Ratifizierungsgesetzes
im Parlament nicht vor dem durch das Ermächtigungsgesetz festgelegten
Zeitpunkt eingebracht wurde.
Nach Ablauf der in Absatz 1 genannten Frist können gesetzesvertretende
Verordnungen für die Bereiche, die durch die Gesetzgebung geregelt werden,
nur noch durch Gesetz geändert werden.
Artikel 39
Die Gesetzesinitiative steht sowohl dem Premierminister als auch den Mitgliedern
des Parlaments gleichberechtigt zu. Die Gesetzentwürfe werden nach Anhörung
des Staatsrates im Ministerrat beraten und bei einer der beiden Kammern
eingebracht. Die Entwürfe von Haushaltsgesetzen und von Gesetzen zur Finanzierung
der Sozialversicherung werden zuerst der Nationalversammlung vorgelegt.
Artikel 40
Gesetzesvorschläge und Änderungsanträge von Mitgliedern des Parlaments
sind unzulässig, wenn ihre Annahme eine Verringerung der öffentlichen
Einnahmen oder die Begründung oder Erhöhung öffentlicher Ausgaben zur
Folge hätte.
Artikel 41
Stellt sich im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens heraus, daß ein Gesetzesvorschlag
oder ein Änderungsantrag nicht in den Bereich der Gesetzgebung fällt oder
einer gemäß Artikel 38 erteilten Ermächtigung entgegensteht, so kann die
Regierung seine Unzulässigkeit einwenden. Sind die Regierung und der Präsident
der betreffenden Kammer uneinig, so entscheidet auf Verlangen einer der
beiden Parteien der Verfassungsratbinnen acht Tagen.
Artikel 42
Die Beratung der Gesetzentwürfe findet in der damit zuerst befaßten Kammer
über die von der Regierung vorgelegte Fassung statt. Eine Kammer, die
mit einer von der anderen Kammer verabschiedeten Fassung befaßt wird,
berät über die ihr vorgelegte Fassung. Artikel 43 Die Gesetzentwürfe und
Gesetzesvorschläge werden auf Ersuchen der Regierung oder der mit ihnen
befaßten Kammer in die eigens zu diesem Zweck eingesetzten Ausschüsse
zur Prüfung überwiesen.
Die Gesetzentwürfe und Gesetzesvorschläge, für die ein solches Ersuchen
nicht vorgebracht wurde, werden einem der ständigen Ausschüsse überwiesen,
deren Zahl in jeder Kammer auf sechs begrenzt ist.
Artikel 44
Die Mitglieder des Parlaments und die Regierung sind berechtigt, Änderungsanträge
einzubringen. Nach Eröffnung der Aussprache kann sich die Regierung der
Prüfung jedes Änderungsantrags widersetzen, der nicht zuvor dem Ausschuß
vorgelegen hat. Auf Verlangen der Regierung entscheidet die befaßte Kammer
in nur einer Ab-stimmung über die gesamte zur Beratung stehende Fassung
oder Teile davon, wobei sie nur die von der Regierung vorgeschlagenen
oder angenommenen Änderungsanträge berücksichtigt.
Artikel 45
Jeder Gesetzentwurf oder Gesetzesvorschlag wird nacheinander in beiden
Kammern des Parlaments mit dem Ziel beraten, zur Annahme einer übereinstimmenden
Fassung zu gelangen.
Kann ein Gesetzentwurf oder Gesetzesvorschlag wegen Uneinigkeit zwischen
den beiden Kammern nach zwei Lesungen in jeder Kammer oder im Falle einer
Dringlichkeitserklärung der Regierung nach nur einer Lesung in jeder Kammer
nicht angenommen werden, so kann der Premierminister einen paritätisch
besetzten Ausschuß einberufen, der eine Fassung der noch strittigen Bestimmungen
vorzuschlagen hat.
Die von dem paritätisch besetzten Ausschuß ausgearbeitete Fassung kann
den beiden Kammern von der Regierung zur Annahme vorgelegt werden. Änderungsanträge
sind nur mit Genehmigung der Regierung zulässig. Gelangt der paritätisch
besetzte Ausschuß nicht zur Annahme einer gemeinsamen Fassung oder wird
diese Fassung nicht gemäß den im vorangehenden Absatz genannten Bedingungen
angenommen, so kann die Regierung nach einer erneuten Lesung in der Nationalversammlung
und im Senat die Nationalversammlung um eine endgültige Beschlußfassung
ersuchen. In diesem Falle kann die Nationalversammlung entweder die von
dem paritätisch besetzten Ausschuß ausgearbeitete Fassung oder die von
ihr zuletzt verabschiedete Fassung wieder aufnehmen, welche gegebenenfalls
durch einen oder mehrere vom Senat angenommene Änderungsanträge abgeändert
ist.
Artikel 46
Gesetze, denen die Verfassung den Charakter von Organgesetzen verleiht,
werden unter folgenden Bedingungen beschlossen und geändert: Der Gesetzentwurf
oder Gesetzesvorschlag wird der damit zuerst befaßten Kammer erst nach
Ablauf von fünfzehn Tagen nach Einbringung zur Beratung und Abstimmung
vorgelegt. Das Verfahren gemäß Artikel 45 ist anwendbar. Gelangen die
beiden Kammern jedoch nicht zur Übereinstimmung, so kann die Textvorlage
von der Nationalversammlung in letzter Lesung nur mit der absoluten Mehrheit
ihrer Mitglieder angenommen werden.
Die den Senat betreffenden Organgesetze müssen von beiden Kammern im gleichen
Wortlaut beschlossen werden. Organgesetze können erst verkündet werden,
nachdem der Verfassungsrat ihre Verfassungsmäßigkeit erklärt hat.
Artikel 47
Das Parlament beschließt die Haushaltsgesetzentwürfe gemäß den in einem
Organgesetz vorgesehenen Bedingungen. Hat die Nationalversammlung in erster
Lesung innerhalb einer Frist von vierzig Tagen nach Einbringung des Gesetzentwurfs
keinen Beschluß gefaßt, so überweist ihn die Regierung dem Senat, der
innerhalb einer Frist von fünfzehn Tagen einen Be schluß fassen muß. Danach
wird gemäß den Bestimmungen in Artikel 45 verfahren.
Hat das Parlament innerhalb einer Frist von siebzig Tagen keinen Beschluß
gefaßt, können die Bestimmungen des Entwurfs durch eine gesetzesvertretende
Verordnung in Kraft gesetzt werden.
Wurde das Haushaltsgesetz über die Einnahmen und Ausgaben eines Haus-
haltsjahres nicht rechtzeitig eingebracht, um vor Beginn dieses Haushaltsjahres
verkündet zu werden, so fordert die Regierung in einem Dringlichkeitsverfahren
vom Parlament die Ermächtigung zur Steuererhebung und bewilligt durch
Dekret die Mittel für die gesetzlich festgelegten Teile des Haushalts
(3).
Die in diesem Artikel vorgesehenen Fristen werden ausgesetzt, wenn sich
das Parlament nicht in der Sitzungsperiode befindet. Der Rechnungshof
unterstützt das Parlament und die Regierung bei der Kontrolle der Ausführung
der Haushaltsgesetze.
Artikel 47-1
Das Parlament beschließt die Gesetzentwürfe über die Finanzierung der
Sozialversicherung gemäß den in einem Organgesetz vorgesehenen Bedingungen.
Hat die Nationalversammlung in erster Lesung innerhalb einer Frist von
zwanzig Tagen nach Einbringung des Gesetzentwurfs keinen Beschluß gefaßt,
so überweist ihn die Regierung dem Senat, der innerhalb einer Frist von
fünfzehn Tagen einen Be schluß fassen muß. Danach wird gemäß den Bestimmungen
in Artikel 45 verfahren.
Hat das Parlament innerhalb einer Frist von fünfzig Tagen keinen Beschluß
gefaßt, können die Bestimmungen des Entwurfs durch eine gesetzesvertretende
Verordnung in Kraft gesetzt werden.
Die in diesem Artikel vorgesehenen Fristen werden ausgesetzt, wenn sich
das Parlament nicht in einer Sitzungsperiode befindet, und in den Wochen,
in denen jede Kammer gemäß Artikel 28 Absatz 2 beschlossen hat, keine
Sitzungen abzuhalten.
Der Rechnungshof unterstützt das Parlament und die Regierung bei der Kontrolle
der Anwendung der Gesetze über die Finanzierung der Sozialversicherung.
Artikel 48
Unbeschadet der Anwendung der letzten drei Absätze des Artikels 28 enthält
die Tagesordnung der Kammern, vorrangig und in der von der Regierung bestimmten
Reihenfolge, die Beratungen über die von der Regierung eingebrachten Gesetz-entwürfe
und die von ihr angenommenen Gesetzesvorschläge. Mindestens eine Sitzung
in der Woche ist vorrangig den Fragen der Mitglieder des Parlaments und
den Antworten der Regierung vorbehalten. Eine Sitzung pro Monat ist vorrangig
der von jeder Kammer festgelegten Tages-ordnung vorbehalten.
Artikel 49
Der Premierminister übernimmt nach Beratung des Ministerrates vor der
Nationalversammlung die politische Verantwortung der Regierung für ihr
Programm oder gegebenenfalls für eine Erklärung zur allgemeinen Politik.
Die Nationalversammlung spricht der Regierung das Mißtrauen durch die
Annahme eines Mißtrauensantrages aus. Ein solcher Antrag ist nur zulässig,
wenn er von mindestens einem Zehntel der Mitglieder der Nationalversammlung
unterzeichnet ist. Die Abstimmung darf erst achtundvierzig Stunden nach
der Einbringung des Antrags stattfinden.
Gezählt werden nur die für den Mißtrauensantrag abgegebenen Stimmen; dieser
kann nur mit der Mehrheit der der Nationalversammlung angehörenden Mitglieder
angenommen werden. Außer in dem im folgenden Absatz vorgesehenen Fall
kann ein Abgeordneter nicht mehr als drei Mißtrauensanträge im Laufe ein
und derselben ordentlichen Sitzungsperiode und nicht mehr als einen im
Laufe ein und derselben außerordentlichen Sitzungsperiode unterzeichnen.
Der Premierminister kann nach Beratung des Ministerrates vor der Nationalversammlung
die politische Verantwortung der Regierung für die Abstimmung über eine
Textvorlage übernehmen. In diesem Falle gilt die Textvorlage als angenommen,
wenn nicht innerhalb der darauffolgenden vierundzwanzig Stunden ein Mißtrauens-antrag
eingebracht und unter den im vorangegangenen Absatz genannten Bedingungen
angenommen wird. Der Premierminister hat das Recht, vom Senat die Zustimmung
zu einer Erklärung zur allgemeinen Politik zu verlangen.
Artikel 50
Nimmt die Nationalversammlung einen Mißtrauensantrag an oder lehnt sie
das Regierungsprogramm oder eine Erklärung zur allgemeinen Politik ab,
so muß der Premierminister beim Präsidenten der Republik den Rücktritt
der Regierung einreichen.
Artikel 51
Der Schluß der ordentlichen Sitzungsperiode oder der außerordentlichen
Sitzungsperioden wird von Rechts wegen ausgesetzt, um gegebenenfalls die
Anwendung des Artikels 49 zu ermöglichen. Zu demselben Zweck sind zusätzliche
Sitzungen rechtens.
Index - Die Verfassung der französischen Republick
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