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• Weltmacht Englisch ?
Außer Zweifel steht, dass Englisch immer stürmischer in die Regionen und Domänen aller anderen Sprachen vordringt. Dies tangiert die dem Englischen nachgeordneten großen Sprachen, von denen manche gleichfalls weltweit gelernt werden, am unmittelbarsten.
Diese Entwicklung hat zumindest zweierlei einschränkende Auswirkungen auf die autochthonen Sprachen. Einerseits dämpft sie den Bedarf an Kenntnissen dieser Sprachen weltweit und damit die Motivation, sie weiterhin als Fremdsprachen zu lernen, da man künftig die Kontakte zu diesen Sprachgemeinschaften mehr und mehr auf Englisch pflegen kann. Kenntnisse dieser Sprachen sind zunehmend nur noch für spezielle Zwecke notwendig, um Geschichte und Kultur der betreffenden Sprachgemeinschaften sehr genau zu studieren oder vielleicht auch, um - im Falle scharfer Konkurrenz - ihren Markt zu erschließen, was in der autochthonen Sprache besser gelingt als in einer Fremdsprache. Vor allem die französisch- und deutschsprachigen Länder spüren schon heute, dass die Nachfrage nach Unterrichtung ihrer Sprachen vielerorts empfindlich nachlässt. Andererseits werden alle anderen Sprachen von Englisch in ihrem Bau beeinflusst: in Wortschatz, Struktur (Aussprache, Schreibung, Grammatik) und Pragmatik. Für die Auswirkungen dieser Entwicklung, vor allem die massiven Entlehnungen aus dem Englischen, stehen kritische Bezeichnungen wie "Franglais", Japlish" bzw. "Denglish". Sie suggerieren polemisch die Vermischung beider Sprachen. Bislang jedoch wurde in all diesen Fällen die Struktur der aufnehmenden Sprache nur geringfügig modifiziert, nicht etwa zerstört, wie es bei wirklicher Sprachmischung der Fall wäre.
© 2001
Prof. Ulrich AMMON - Lehrstuhlinhaber an der Universität Bochum


Sprachwahl und Macht

"English Is the Lingua Franca in Cannes" war kürzlich ein Bericht im Time-Magazin (22. Mai 2000) überschrieben. Darin heisst es über den Film Vatel: "Yet this purely Galic story, presented as the opening attraction at France's best-known annual cultural event, is in English". Und weiter über den Star: "At, the 53rd Cannes Film Festival, Depardieu may answer press questions in French, but in Vatel he must kneel before the gods of international commerce and try to speak English." Die Metapher vom Niederknienmüssen impliziert, dass Zwang ausgeübt wird. Ein Mensch wird gezwungen, eine andere Sprache zu sprechen, als ihm genehm ist. Jedoch ist es offenkundig nicht die Sprache als solche, die diesen Zwang ausübt, sondern eine dahinterstehende Macht: der internationale Kommerz. Er zwingt - so die Insinuierung - alle Personen, die sich daran beteiligen wollen, die ihm genehme Sprache zu sprechen. Es wäre irreführend, eine bestimmte Sprache per se als Macht zu bezeichnen, zumindest in Situationen dieser Art. Betrachten wir einige weitere Beispiele, speziell solche, die zum Aufstieg des Englischen zur Weltsprache beigetragen haben. […]

1. Bis zum Ersten Weltkrieg war Französisch die vorherrschende Sprache der internationalen Diplomatie. Bei den Verhandlungen zum Versailler Vertrag erlebten die Franzosen die unangenehme Überraschung, dass sich die Amerikaner und Briten der englischen Sprache bedienten. Zur Begründung verwiesen sie zunächst auf die schlechten Französischkenntnisse des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson, bis sie dann das gewichtigere Argument aus dem Sack ließen, dass der Krieg nur mit amerikanischer Hilfe gewonnen wurde. Gegen den erbitterten Widerstand Frankreichs setzten Amerikaner und Briten Englisch als gleichberechtigte zweite Verhandlungssprache durch. Ihr Erfolg hatte weitreichende Konsequenzen. Englisch wurde damit nämlich nicht nur Vertragssprache von Versailles, sondern auch Amtssprache des durch den Friedensvertrag geschaffenen Völkerbundes. Französisch behielt zwar einen gleichrangigen Status, büßte aber seine bis dahin unbestrittene Suprematie ein. Offenkundig lag auch die Machtbasis für diese Statusverschiebung nicht bei der Sprache selber, sondern bei den amerikanischen Waffen beziehungsweise beim amerikanischen Volk, das sie produziert hatte. […]

2. Schwieriger eruierbar scheint die Machtbasis, aufgrund deren sich international operierende deutsche Konzerne heute "gezwungen" sehen, Englisch unter ihre Amtssprachen aufzunehmen. Hier sind keine gebietenden Herren erkennbar. Auch keine triumphierenden Kriegssieger. Der Ausgang des Zweiten Weltkriegs eignet sich kaum als Erklärung für diese Zwangslage deutscher Multis, da sich doch französische oder neuerdings auch russische internationale Konzerne demselben sprachlichen Druck ausgesetzt sehen: Auch sie kommen nicht umhin, Englisch als Amtssprache einzuführen oder sich seiner - amtlicher Status hin oder her - als Geschäftssprache zu bedienen. Hier ist im Grunde dieselbe Macht im Spiel, der sich der anfangs genannte Filmschauspieler Depardieu beugte. Es ist der englischsprachige Markt, die Wirtschaftskraft der englischsprachigen Länder, die größer ist als die Wirtschaftskraft der Länder irgendeiner anderen Sprache. Wer an diesem Markt teilhaben will, muss sich der englischen Sprache bedienen. Die englischsprachigen Länder sind dagegen ihrerseits weniger auf den Markt der Länder einer anderen Sprache angewiesen, der in jedem Fall kleiner ist als der eigene. Ist also hier die Sprache selber eine Macht? Nein. Es ist die Größe der Sprachgemeinschaft oder genauer: ihrer Wirtschaftskraft. Sie wird deutlich beim Vergleich.

Größe und Wirtschaftskraft der englischen Sprachgemeinschaft

Vergleiche der englischen mit anderen Sprachgemeinschaften (im Sinne der Gesamtheit der jeweiligen Sprecher) sind nicht immer einfach. Schon bloße weltweite Vergleiche der Sprecherzahlen müssen sich teilweise auf zweifelhafte Quellen stützen. Im Grunde bleibt nur zu hoffen, dass sich aus all den Angaben unterschiedlicher Provenienz wenigstens eine richtige Tendenz herausschält. So stimmen ganz verschiedenartige Angaben darin überein, dass nach der Zahl der Muttersprachler Englisch keineswegs an der Spitze aller Sprachen rangiert, sondern zumindest von Chinesisch weit übertroffen wird. Dieser Befund gilt gleichermaßen für unterschiedliche Begriffe von Muttersprache, sei es dass damit die von den Individuen lebensgeschichtlich zuerst gelernte Sprache gemeint ist oder die Sprache, zu der sie sich auf Befragen als "Muttersprache" bekennen. Die Zahlen für Chinesisch liegen jeweils bei rund einer Milliarde, für Englisch dagegen zwischen 350 und 450 Millionen. Andere Sprachen wie Hindi (oder Hindi-Urdu) und Spanisch haben ungefähr gleich viele Muttersprachler wie Englisch. […]

Bei Zählungen, die Fremdsprachler einbeziehen, ist es oft schwierig zu unterscheiden zwischen Personen, die mit der Sprache wirklich kommunizieren können, und solchen, die sie zwar irgendwann gelernt haben, aber in keiner Weise beherrschen. Angesichts der Abgrenzungsschwierigkeit zwischen wirklichen Sprechern und bloßen Lernern beziffert David Crystal die Gesamtsprecherzahl des Englischen in Form einer Zahlenspanne, die sich - für Muttersprachler und Nicht-Muttersprachler zusammengenommen - zwischen den Extremen 670 Millionen und 1,8 Milliarden erstreckt. Vielfach wird diese Zahl auch über den Daumen mit 1,5 Milliarden angegeben. Sie umfasst dann immerhin rund ein Viertel der Weltbevölkerung - weit mehr als die Gesamtsprecherzahl jeder anderen Sprache. Für Deutsch beispielsweise liegt die Gesamtsprecherzahl zwischen 137 und 267 Millionen, wobei das obere Extrem allerdings auch die Personen umfasst, die je Deutsch gelernt haben.

Englisch verfügt somit über das größte "Kommunikationspotential" aller Sprachen. Bemerkenswert ist auch, dass die Nicht-Muttersprachler die Muttersprachler zahlenmäßig weit übertreffen. Dies ist bei keiner anderen "natürlichen" Sprache so, nur bei Kunstsprachen wie Esperanto. Die bloße Sprecherzahl verrät die tatsächliche "Stärke" der englischen Sprachgemeinschaft nur unvollkommen. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass sie mehr Wirtschaftskraft auf sich vereint als irgendeine andere Sprachgemeinschaft. Die Zweit- oder Fremdsprachler des Englischen gehören oft zur "Elite", vor allem in den Nicht-Mutterländern. Personen, die eine zusätzliche Sprache beherrschen, sind oftmals privilegiert, und aus den obigen Zahlen folgt, dass diese Sprache - weltweit gesehen - meist Englisch ist.

Noch deutlicher wird die ökonomische Stärke der englischen Sprachgemeinschaft allerdings bei den Muttersprachlern. Obwohl ihre Zahl keineswegs die aller anderen Sprachen übertrifft, verfügen sie über eine weit größere Wirtschaftskraft als die Muttersprachler jeder anderen Sprache. Dies lässt sich zum Beispiel am Bruttoinlandsprodukt messen. Man kann es über alle Länder der Welt addieren, bei mehrsprachigen Ländern nach dem jeweiligen Anteil der Sprachgruppen (Muttersprachler). Auf diese Weise habe ich folgende Proportionen der Wirtschaftskraft für die Muttersprachler der größten Sprachen errechnet: Englisch 4,27, Japanisch 1,28, Deutsch 1,09, Russisch 0,80, Spanisch 0,74, Französisch 0,67, Chinesisch 0,45. Die für die Zeit um 1990 ermittelten Zahlen repräsentieren US-Dollar in Billionen - jedoch sind die Proportionen wichtiger. Danach übertrifft Englisch die in der Rangordnung nächstliegenden Sprachen gleich mehrfach: Japanisch mehr als dreifach, Deutsch vierfach und das nach Sprecherzahlen davorliegende Chinesisch sogar fast zehnfach. In der Zwischenzeit hat sich der Abstand zwischen Englisch und den unmittelbar anschließenden Sprachen Japanisch und Deutsch auf Grund unterschiedlichen Wirtschaftswachstums noch vergrößert. Die enorme Wirtschaftskraft der Muttersprachler und Nicht-Muttersprachler des Englischen bildet die wesentliche Machtbasis der Sprache.

Ein weiterer aussagekräftiger Parameter der Stellung von Sprachen in der Welt ist die Zahl der Länder, in denen sie Amtssprache sind. Danach bemisst sich zum Teil ihr Gewicht in der internationalen Diplomatie; denn mit den jeweiligen Ländern kann man in ihrer Amtssprache verkehren. Ebenso hängt davon teilweise die Stellung der Sprachen in internationalen Organisationen ab. So sind von den sechs Amtssprachen der Vereinten Nationen vier zugleich die Sprachen mit der größten Zahl von Ländern mit amtlichem Status, nämlich Englisch, Französisch, Arabisch und Spanisch; Ausnahmen bilden Russisch und Chinesisch, bei denen Größe und politisches Gewicht der Mutterländer für den amtlichen Status der Sprachen bei den Vereinten Nationen ausschlaggebend waren. Wiederum freilich ist der "amtliche Status einer Sprache in einem Land" begrifflich nicht eindeutig. Vor allem wird zwischen deklariertem, womöglich in der Verfassung formuliertem, und faktischem Status unterschieden. Maßgeblich ist, dass die Sprache in der Regierungsarbeit, in den Parlamenten oder in der staatlichen Verwaltung gebraucht wird. Fasst man den Begriff eng, so ist Englisch in mindestens 48 Staaten Amtssprache; gefolgt von Französisch (27), Arabisch (23) und Spanisch (20). Bei einem sehr weiten Begriff hat Englisch amtliche Funktion in nicht weniger als 112 "Territorien", gefolgt von Französisch mit 54. Jedenfalls übertrifft nach diesem Parameter - bei jeder Art von Begriffsfestlegung - Englisch wieder deutlich alle andere Sprachen.

Die Funktion als Lingua franca der Welt

Englisch ist Amts- und Arbeitssprache in allen globalen und in den meisten internationalen Organisationen, außer wenn sie auf bestimmte Ländergruppen oder Regionen beschränkt sind wie etwa die GUS-Staaten. Es ist daher auch universell einsetzbare Sprache der Diplomatie. Der amerikanische Präsident oder der britische Premierminister brauchen für diplomatische Kontakte und Auslandsreisen keine Dolmetscher. Sie können - im Gegensatz etwa zu deutschen Politikern - stets in ihrer Muttersprache verhandeln. Sofern Partner die Sprache der internationalen Diplomatie nicht beherrschen, liegt es an ihnen, Dolmetscher zu stellen.

Desgleichen ist Englisch allgemein vorherrschende Sprache der internationalen Geschäftswelt sowie Amtssprache aller Multis. Wer nicht über solide Kenntnisse dieser Sprache verfügt, ist kein Global Player. Deutsche internationale Konzerne sind von dieser Erfahrung tief beeindruckt. Daher geschieht es immer wieder, dass Vertreter ihrer Auslandsniederlassungen Stellenbewerber auf die eminente Wichtigkeit von Englischkenntnissen hinweisen oder Deutschkenntnisse sogar ausdrücklich für nutzlos erklären. Eine solche Äußerung eines Vertreters der Firma Siemens in Südkorea empfanden die örtlichen Germanisten und Vertreter des Faches Deutsch als Fremdsprache als existenzbedrohend. Tatsächlich handelt es sich dabei um einen der vielen Mechanismen, durch die das Englische die anderen Sprachen immer mehr von der internationalen Bühne verdrängt. […]

Wissenschaftler jeglicher sprachlichen Provenienz müssen sich darauf einrichten, auf internationalen Konferenzen Englisch zu sprechen und auf Englisch zu publizieren, wenn sie außerhalb der eigenen Sprachgemeinschaft zur Kenntnis genommen werden wollen. Zwar haben Sprachen wie Französisch oder auch Spanisch nicht selten ebenfalls offiziellen Konferenzstatus, neben Englisch, jedoch finden sich ihre Anwender meist abgeschieden in peripheren Zirkeln. Aufgrund dieser Umstände ist es nur konsequent, dass Englisch in den nicht-englischsprachigen Ländern nun auch in die Hochschullehre ein geführt wird. Ansätze dazu gibt es sogar in vermeintlich so antiangelsächsischen Bastionen wie Frankreich. Auch Deutschland bietet seit dem Wintersemester 1997/98 "Internationale Studiengänge" in englischer Sprache an, im Sommersemester 2000 schon an 60 Hochschulen. Die nicht-englischsprachigen Länder sehen sich zu diesem Angebot genötigt, unter anderem, um überhaupt noch die gewünschte Zahl von Studierenden aus dem Ausland zu gewinnen, die für zukünftige auswärtige Kontakte von unschätzbarem Wert sind. Studienanfänger aus aller Herren Länder können nämlich Englisch, seltener dagegen andere Sprachen, und sind oft nicht bereit, als Vorbedingung des Studiums eine weitere Fremdsprache zu lernen. […]

Der niederländische Soziologe Abram de Swaan hat im Zusammenhang mit der Dominanz des Englischen als Lingua franca hervorgehoben, dass Sprachen zu den "hyperkollektiven Gütern" gehören. Sie sind nicht nur im Besitz von Kollektiven, sondern diese streben darüber hinaus ihre noch ausgedehntere Kollektivierung an. Der Wert hyperkollektiver Güter wächst für ihre Besitzer mit der Verbreitung. Bei Sprachen erhöht sich dadurch das "Kommunikationspotential", die Zahl der durch sie erreichbaren Personen und der Umfang ihrer Anwendbarkeit als Kommunikations- und Handlungsmittel. Daher sind Sprachgemeinschaften in aller Regel daran interessiert, dass möglichst viele Personen ihre Sprache übernehmen. Sprachen großer Sprachgemeinschaften sind, so gesehen, wertvoller als Sprachen kleiner Sprachgemeinschaften. An der Kommunikation in den Wissenschaften oder in den Medien kann man leicht zeigen, dass die Zugehörigkeit zu einer größeren Sprachgemeinschaft auch durchaus materiell vorteilhaft ist.

Nicht zu vergessen sind außerdem immaterielle, vor allem kommunikative Vorteile. Angehörige der englischen Sprachgemeinschaft können in internationalen Kontakten fast immer ihre Muttersprache einsetzen, auch die Mitglieder anderer großer Sprachgemeinschaften können dies bisweilen, während die Angehörigen kleiner Sprachgemeinschaften stets auf eine Fremdsprache umsteigen müssen. Der Schweizer Psycholinguist Claude Piron hat in eingehenden Untersuchungen festgestellt, dass bei Kontakten zwischen Muttersprachlern und Nicht-Muttersprachlern das "sprachliche Wohlbefinden" ersterer meist größer ist als das letzterer. Dieser Unterschied im Wohlbefinden hat verschiedene Gründe: Die geringere kognitive Anstrengung beim Gebrauch der eigenen Sprache, die größere emotionale Nähe zu ihr sowie das intuitive Wissen um die reichere Ausdrucksmöglichkeit und die günstigere Wirkung der Äußerungen. In all diesen wichtigen Hinsichten haben die Muttersprachler Vorteile gegenüber den Nicht-Muttersprachlern. Diese Vorteile summieren sich bei den Muttersprachlern des Englischen, das weitaus am häufigsten solcherart asymmetrisch verwendet wird. All diese Vorteile wachsen ihnen - wie es scheint - durch die Macht der Umstände zu. In Wirklichkeit ist es die Macht der englischen Sprachgemeinschaft, die Anderssprachige bei Kontakten zur Wahl des Englischen zwingt. […]

Es gibt keine Anzeichen dafür, dass Englisch in absehbarer Zeit seine dominante Rolle als globale Lingua franca einbüßt. Vielleicht jedoch erreichen die anderen Sprachgemeinschaften auf längere Sicht, dass nicht mehr die Muttersprachler allein die Normen dieser Sprache bestimmen. Eine groß angelegte sprachenpolitische Kampagne zugunsten der Nicht-Muttersprachler, die zahlenmäßig ja immer mehr überwiegen, könnte am Ende zur gleichberechtigten Anerkennung nicht-muttersprachlicher Varietäten des Englischen führen. Im Grunde wäre schließlich sogar die Umbenennung der Sprache angemessen, vielleicht in "Globalisch".

Zerstört Englisch die anderen Sprachen ?

Unter Sprachwissenschaftlern ist Dauerthema, dass von den heute weltweit rund 6000 Sprachen in den nächsten Jahrzehnten vermutlich der größte Teil außer Gebrauch kommt. In der Regel spricht man vom "Aussterben", jedoch ist die darin enthaltene Analogie zu natürlichen Organismen der angemessenen Einschätzung nicht unbedingt zuträglich. Allerdings sind sich die Sprachwissenschaftler weitgehend einig, dass das Verschwinden der kleinen Sprachen (mit kleinen Sprachgemeinschaften) keine unmittelbare Folge der Expansion des Englischen ist. Meist steigen ihre Sprecher nämlich nur auf die nächst größere Sprache um, nicht gleich auf die Weltsprache. So wechseln Saterfriesen oder Sorben zum Deutschen, Bretonen zum Französischen oder Ladiner (in Südtirol) zum Deutschen oder Italienischen. Englisch wird jedoch vielleicht indirekt wirksam. Da es mehr und mehr zusätzlich zu der bisher übergeordneten Sprache gelernt werden muss, wird Dreisprachigkeit erforderlich (zum Beispiel Sorbisch plus Deutsch plus Englisch); und sie ist womöglich eine zu große kognitive Belastung, so dass bei der - nach Auffas-sung der Sprecher - am wenigsten wichtigen Sprache eingespart wird.

Außer Zweifel steht, dass Englisch immer stürmischer in die Regionen und Domänen aller anderen Sprachen vordringt. Dies tangiert die dem Englischen nachgeordneten großen Sprachen, von denen manche gleichfalls weltweit gelernt werden, am unmittelbarsten. So hat sogar der frühere französische Erziehungs- und Wissenschaftsminister Allègre 1999 erklärt: "L'anglais ne doit plus être une langue étrangère." Und in Deutschland wie auch Japan gibt es Initiativen, die sich in aller Öffentlichkeit dafür einsetzen, Englisch zur zweiten staatlichen Amtssprache zu erheben, neben autochthonem Deutsch bzw. Japanisch. Die Initiativen in allen drei Ländern zielen hauptsächlich darauf ab, die Englischkenntnisse in der Bevölkerung nachhaltig zu verbessern. Diesem Zweck dienen auch von Land zu Land unterschiedlich weit gehende Bestrebungen, den Englischunterricht schon in der Grundschule als Pflichtfach zu verankern.

Diese Entwicklung hat zumindest zweierlei einschränkende Auswirkungen auf die autochthonen Sprachen. Einerseits dämpft sie den Bedarf an Kenntnissen dieser Sprachen weltweit und damit die Motivation, sie weiterhin als Fremdsprachen zu lernen, da man künftig die Kontakte zu diesen Sprachgemeinschaften mehr und mehr auf Englisch pflegen kann. Kenntnisse dieser Sprachen sind zunehmend nur noch für spezielle Zwecke notwendig, um Geschichte und Kultur der betreffenden Sprachgemeinschaften sehr genau zu studieren oder vielleicht auch, um - im Falle scharfer Konkurrenz - ihren Markt zu erschließen, was in der autochthonen Sprache besser gelingt als in einer Fremdsprache. Vor allem die französisch- und deutschsprachigen Länder spüren schon heute, dass die Nachfrage nach Unterrichtung ihrer Sprachen vielerorts empfindlich nachlässt. Andererseits werden alle anderen Sprachen von Englisch in ihrem Bau beeinflusst: in Wortschatz, Struktur (Aussprache, Schreibung, Grammatik) und Pragmatik. Für die Auswirkungen dieser Entwicklung, vor allem die massiven Entlehnungen aus dem Englischen, stehen kritische Bezeichnungen wie "Franglais", Japlish" bzw. "Denglish". Sie suggerieren polemisch die Vermischung beider Sprachen. Bislang jedoch wurde in all diesen Fällen die Struktur der aufnehmenden Sprache nur geringfügig modifiziert, nicht etwa zerstört, wie es bei wirklicher Sprachmischung der Fall wäre.

Um diese Frage der Zerstörung gibt es in den meisten Ländern, deren Sprachen betroffen sind, einen Disput. In Deutschland ist er - etwas vereinfacht gesagt - organisiert in zwei Vereinen. Die These von der Zerstörung der deutschen Sprache durch extensive Entlehnungen aus dem Englischen bis hin zur Sprachmischung wird - übrigens mit großem Widerhall in den Medien - verfochten vom "Verein deutsche Sprache" (gegründet 1997, vormals "Verein zur Wahrung der deutschen Sprache", Sitz in Dortmund). Die Mitglieder sind überwiegend sprachwissenschaftliche Laien, die beachtliches politisches Engagement entfalten. Für die Gegenthese, die deutsche Sprache sei durch die Entlehnungen nicht in ihrer Substanz gefährdet, steht die traditionsreiche "Gesellschaft für deutsche Sprache" (Sitz in Wiesbaden). Details der Standpunkte lassen sich den Websites der Vereine entnehmen(1). Der "Verein deutsche Sprache" stützt seine Argumentation maßgeblich auf Analysen des Journalisten Dieter E. Zimmer, der die Gefährdung des Deutschen in die eingängige Formel gegossen hat, der "Tiefencode" der Muttersprache sei in Auflösung begriffen. Er belegt die Gefährdung des Deutschen durch zahlreiche Beispiele von Wörtern, die durch englische Entlehnungen entweder verdrängt oder deren Bedeutungen modifiziert wurden sowie durch den Nachweis, dass Deutsch weniger in der Lage war, die moderne Computerterminologie strukturell zu integrieren als viele andere Sprachen. Dagegen verweisen die teilweise rigoroser fachwissenschaftlich argumentierenden Vertreter der "Gesellschaft für deutsche Sprache" auf die - in der Tat nicht zu bestreitende - Unklarheit des Begriffs "Tiefencode" oder führen vor Augen, dass die Entlehnungen aus dem Englischen durchaus nach deutschen Mustern flektieren.

Die beschwichtigenden Einwände der Sprachwissenschaftler sind zwar zutreffend: Die Struktur der deutschen Sprache ist im großen und ganzen intakt und durch die massenhaften Entlehnungen aus dem Englischen nicht unmittelbar gefährdet. Allerdings bringen diese viele neue Unregelmäßigkeiten mit sich und erschweren so den korrekten Sprachgebrauch. Nur wer gut Englisch kann, weiß die zahlreichen Neuwörter richtig zu handhaben. Es entsteht eine zusätzliche Sprachbarriere zwischen den mehr und den weniger Gebildeten, ähnlich der älteren durch Latinismen und Gräzismen. Im Unterschied zu diesen sind die Neuwörter aus dem Englischen jedoch nicht auf den Bildungs- und Wissenschaftswortschatz beschränkt, sondern im Alltagswortschatz omnipräsent. Daher drohen schon bei Gesprächen über ganz banale Themen sprachliche Ausrutscher. Ob dieses soziale Sprachproblem womöglich durch die Lockerung sprachlicher Normerwartungen entschärft wird, bedarf noch der Untersuchung. Vielleicht ist das im Fernsehen um sich greifende Kokettieren mit Sprachfehlern à la Verona Feldbusch ein Vorgriff auf diese Tendenz.

Es gibt keinen Grund für die Annahme, dass der Entlehnungsdruck aus dem Englischen auf Sprachen wie Deutsch und Französisch in Zukunft abnimmt. Nach bisherigen Erkenntnissen ist vielmehr von dem soziolinguistischen Gesetz auszugehen, das besagt: Beim Kontakt einer prestigeträchtigen Sprache mit einer prestigeärmeren wird mehr aus ersterer in letztere entlehnt als umgekehrt. Dabei wird der Bau der Nehmersprache dem der Gebersprache angepasst. Wie weit diese Entwicklung voranschreitet, ist nicht nur von der Kontaktdauer, sondern von weiteren Umständen abhängig wie der Sprachloyalität der Sprecher oder sprachplanerischen und -politischen Maßnahmen. Die derzeitige Entwicklung ist viel weniger durch direkte Machtausübung seitens der englischen Sprachgemeinschaft bedingt als durch das Bestreben der Mitglieder der anderen Sprachgemeinschaften, an den Verheißungen der angelsächsischen Welt und am Kommunikationspotential ihrer Sprache teilzuhaben.

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(1) www.vwds.de; www.geist.spacenet.de/gfds/verlag-Dhtml.

Artikel erschienen in MERKUR, Sonderheft "Europa oder Amerika", Sept./Okt. 2000, S. 867 ff.

 



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