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• Die Sprachenfrage in Europa
Der französische Sprachwissenschaftler Claude Hagège unterstreicht in dem vorliegenden Interview die europäische Sprachenvielfalt und den sich daraus ergebenden Reichtum. Deswegen bestehe auch die einzig mögliche Zukunft für Europa in der Vielsprachigkeit. Vor diesem Hintergrund kommt er zu dem Schluss, dass die Dominanz einer Sprache, wie es gegenwärtig für das Englische der Fall ist, nicht wünschenswert sei und das die Europäer ihre Kinder möglichst früh zum Gebrauch mehrerer und nicht nur einer einzigen Sprache erziehen sollten. Dabei könnte sich das Internet als nützlich erweisen, insofern es sich um ein Medium handelt, in dem auch andere Sprachen zu Wort kommen. "Deswegen bildet die Nutzung der Sprachen auf dem Internet einen der wichtigsten Wege zum Schutz der Sprachen gegen den Einfluss des Angloamerikanischen." Claude Hagège zufolge ist das Französische allerdings weder durch die Entlehnungen aus dem Angloamerikanischen noch durch die Regionalsprachen gefährdet, für die in der letzten Zeit das Interesse gewachsen ist, die aber nichtsdestotrotz weiterhin in ihrer Existenz bedroht sind. © 2001
Claude HAGEGE - Sprachwissenschaftler, Professor am
Collège de France


Deutsch-Französisches Forum: Welches sind ihrer Ansicht nach die Kriterien, auf deren Grundlage einer Sprache mehr oder weniger Bedeutung innerhalb eines Organisationsgefüges wie der Europäischen Union, in der jede Entscheidung in dieser Frage zweifelsohne politische Folgen hat, zugestanden werden kann?

Claude Hagège: Die sprachexternen Kriterien, auf deren Grundlage die Bedeutung einer Sprache beurteilt werden kann, sind zum einen ihre Verbreitung, die wirtschaftliche Bedeutung und der politische Einfluss der Länder, in denen sie gesprochen wird, und darüber hinaus die Geschicklichkeit der Machtinhaber. Die internen Kriterien könnten mit der spracheigenen Qualität in Zusammenhang gebracht werden, durch die eine Sprache eventuell leichter zu handhaben und zu verstehen bzw. anpassungsfähiger ist. Diese Kriterien sind allerdings faktisch ohne jede Bedeutung, da jede Sprache als solche in eine bedeutende Stellung aufrücken kann. Die Kriterien, die dazu geeignet sind, einer Sprache Bedeutung zu verleihen sind also hauptsächlich sprachexterne, d.h. politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Kriterien.

Forum: Wie können dann also "wichtige" von "unwichtigen Sprachen" unterschieden werden? Durch die Zahl der Sprecher, die Sprachfamilie oder eine "kulturprägende Kraft"?

C. Hagège: Ich halte ganz und gar nichts von dieser Unterscheidung, die ich rundweg ablehne. Ich weiß aber nur allzu gut, was sie bedeutet. Im Grunde verbirgt sich hinter dem Begriff der "unwichtigen Sprache" im Wesentlichen der Gedanke einer zahlenmäßig geringeren Verbreitung sowie eines geringeren wirtschaftlichen und politischen Einflusses der Länder, in denen sie gesprochen wird. Das führt uns wieder zu der ersten Frage zurück.

Forum: Es wurde oft auf die Möglichkeit hingewiesen, dass das Deutsche zu einer Amtssprache der europäischen und internationalen Organisationen erhoben werden könnte. Was halten Sie von einer solchen Forderung? Inwieweit ist sie angesichts anderer Sprachen wie des Spanischen, des Italienischen oder auch des Portugiesischen berechtigt?

C. Hagège: Diese Forderung, die bereits von Helmut Schmidt und Helmut Kohl erhoben worden war, wird auch von der jetzigen Regierung vertreten und ist natürlich eng mit dem wirtschaftlichen und politischen Einfluss Deutschlands verbunden. Die politischen Machtinhaber in Deutschland sind sich der wirtschaftlichen Bedeutung des Landes bewusst und wundern sich zu Recht darüber, dass Französisch und Englisch in Brüssel immer noch so unangefochten dominieren. Leider ist in diesem Zusammenhang ein geschichtlicher Exkurs notwendig; es muss daran erinnert werden, dass es sich dabei natürlich um eine Folge des Zweiten Weltkrieges handelt. Nach Kriegsende rückten die Sprachen der Sieger in den Vordergrund. In der Zwischenzeit hat Westdeutschland seine Wiedergutmachung glaubhaft gemacht und alles in seiner Macht Stehende getan, um seinen guten Willen unter Beweis zu stellen und die schreckliche Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg auszulöschen. Infolge des Generationenwechsels fühlen sich die nachwachsenden Generationen immer weniger für das Geschehene verantwortlich. Die jüngsten Generationen, in denen Gerhard Schröder durchaus repräsentativ ist für diesen Trend, sind der Ansicht, dass die ausschlaggebenden Kriterien der Bedeutung einer Sprache mit der politischen und wirtschaftlichen Stärke des Landes, in dem sie gesprochen wird, verbunden sind, und denken folgerichtig, dass das Deutsche legitimerweise in demselben Maße anerkannt werden müsste wie Französisch und Englisch. Ich für meinen Teil bin der Ansicht, dass Deutsch eine der wichtigen Sprachen ist. Im übrigen mache ich in einem meiner früheren Bücher (Les choses de la langue) und auch in dem zuletzt erschienenen (Le souffle de la langue - Auf Französisch bei Odile Jacob. Auf Deutsch im Campus Verlag unter dem Titel: Welche Sprache für Europa) den Vorschlag, Deutsch gleichberechtigt zu behandeln, und setze mich für dessen Zugehörigkeit zu den Sprachen der europäischen Mehrsprachigkeit ein.

Forum: Was halten Sie von den Äußerungen eines Ihrer Amtsvorgänger am Collège de France, Antoine Meillet, der die Ansicht vertrat, dass "sich in Europa die wachsende Vielzahl an Kultursprachen zunehmend störend bemerkbar" mache, und der außerdem vorhersah, dass "[…] die Bürger der neuen Welt […] die nahezu anarchistische, gegenwärtige Sprachsituation schon der Disziplin zu unterwerfen" wüssten, "die die universelle Zivilisation der Zukunft zwingend erforderlich" mache? Denken Sie wie Meillet, dass die Minderheitensprachen zum Aussterben verurteilt sind?

C. Hagège: Natürlich nicht. Meillet ist 1936 gestorben, vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Er war ein Mann des frühen 20., wenn nicht gar des 19. Jahrhunderts, und ein wirklich bedeutender Gelehrter, Professor am Collège de France, und natürlich ein ausgezeichneter Sprachwissenschaftler. In seinem Buch Les langues de l'Europe nouvelle vertritt er aber tatsächlich die genannte These. Das Werk enthält so manche Ungenauigkeit und Sichtweisen, die sich aus nicht ganz objektiven Überlegungen ergeben. Zum Beispiel war er dem Ungarischen feindlich gesonnen, weil Ungarn, das aufgrund seines Bündnisses mit Deutschland im Anschluss an den ersten Weltkrieg einen Teil seines Territoriums verloren hatte, Anspruch auf eine bessere Stellung erhob und wegen der Landstriche, die es an Rumänien und Jugoslawien abtreten musste, sehr aufgebracht war. Aus diesem Grunde stand er dem Ungarischen feindselig gegenüber, wie auch in allgemeinerer Hinsicht der europäischen Sprachenvielfalt überhaupt. Diese Sichtweise hat sich allerdings nicht bestätigt, sondern wurde eher Lügen gestraft. In Wirklichkeit konnte man sich im Laufe der Zeit davon überzeugen, dass auf dem europäischen Kontinent die Minderheitensprachen immer noch sehr lebendig sind. Das Auseinanderbrechen Jugoslawiens hat zum Beispiel der kroatischen Sprache - die bisher als mit dem Serbischen identisch betrachtet und als Serbokroatisch bezeichnet wurde - zu einem solchen Aufschwung gegen Belgrad verholfen, dass das kroatische Volk nunmehr alles daran setzt, eine neue Sprache entstehen zu lassen. Eigentlich vollzieht sich also die gegenteilige Entwicklung: die Minderheitensprachen, die Nationalitätensprachen - im Fall Kroatiens ist im Anschluss an den Zusammenbruch der Jugoslawischen Föderation aus der Nationalität ein unabhängiger Staat geworden - bilden sich in Europa heraus, das nicht nur keine Minderheitensprachen verliert, sondern neue dazu gewinnt.

Forum: Offensichtlich war also, was das Ungarische betrifft, der offene Brief des ungarischen Schriftstellers Kosztolanyi als Antwort auf die Äußerungen Meillets voll und ganz gerechtfertigt…

C. Hagège: Kostolanyi war jemand, dem Frankreich und seine Sprache viel bedeuteten, der natürlich aber heftig auf die Herablassung und auf die Unkenntnis - denn das war es ja im Grunde - reagiert hat, mit der sich Meillet über das Ungarische äußerte. Er war ein großer Schriftsteller, der eine solche Haltung gegenüber der ungarischen Sprache nicht hinnehmen konnte.

Forum: In einer Ihrer Veröffentlichungen, die gerade neu aufgelegt wurde (Le Souffle de la langue) kommen sie auf die Mehrsprachigkeit in Europa zu sprechen und vertreten den Standpunkt, dass eine einzige Sprache nicht als alleinige Gemeinschaftssprache dienen sollte. Welches System würden Sie befürworten, damit das Englische die deutsche und französische Sprache nicht zur Bedeutungslosigkeit verdammt?

C. Hagège: Ein sehr einfaches System. Alles steht und fällt mit der Schule, die im Zentrum des Problems steht. Meines Erachtens besteht die einzig mögliche Zukunft für Europa in der Mehrsprachigkeit. Das ist eine der Hauptthesen von Le souffle de la langue und auch von einem früheren Buch, L'enfant aux deux langues, aus dessen Titel schon ersichtlich ist, dass das Geheimnis in der schulischen Erziehung zu suchen ist. Eine schulisch vermittelte Zweisprachigkeit im frühen Kindesalter, d.h. ein Unterricht, in dem den Kindern zusätzlich zu ihrer Muttersprache noch zwei weitere Sprachen vermittelt werden, stellt meines Erachtens eine Notwendigkeit dar. Im Falle einer Reform, durch die das Erlernen von zwei Sprachen zusätzlich zu der Muttersprache bereits in der Grundschule, d.h. im Alter zwischen 5 und 7 Jahren, Pflicht ist, wird sich das Problem von selbst lösen. Auch wenn die Familien sich mehrheitlich für das Englische entscheiden, werden sie eine weitere Sprache dazu wählen müssen. Wenn dagegen nur eine Pflichtsprache im Grundschulunterricht in den niedrigen Jahrgangsstufen eingeführt wird, dann wäre das Englisch, was zu dem schleichenden Tod der anderen Sprachen führen würde. Deswegen bin ich also für eine frühzeitige Zweisprachigkeit; und liste in L'enfant aux deux langues sogar die Namen der Hauptsprachen in Europa auf: zusätzlich zu der englischen Sprache, die schon allzu weit verbreitet ist, wären das Italienisch, Spanisch, Portugiesisch, Französisch und Deutsch.

Forum: Und wie glauben Sie wird die Mehrsprachigkeit in den europäischen Institutionen funktionieren…

C. Hagège: Alles hängt von dem Zeitraum ab, den man ins Auge fasst. Gegenwärtig gehören die über 20-Jährigen einer in dieser Hinsicht verlorenen Generation an, weil sie in einer Zeit geboren wurden, in der das Englische omnipräsent ist. Wenn man die von mir vorgeschlagenen oder ähnliche Ideen umsetzen würde, wodurch alle Kinder in Europa einer mehrsprachigen Erziehung unterzogen würden, wären die so ausgebildeten nachwachsenden Generationen mehrsprachig, und infolgedessen würde die Macht und der Einfluss des Englischen nachlassen. Ein französisches Kind, das Deutsch gelernt hat und auf Deutsch spricht, wird neben dem Englischen und dem Französischen dann auch die deutsche Sprache beherrschen. Es ist dabei wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Idee Gesamteuropa betrifft und dass sie im Rahmen eines einzigen Landes nicht wirklich funktionieren kann. Die einzige Möglichkeit, ein Gegengewicht zur weltweiten Vorherrschaft des Englischen zu bilden, besteht in der Förderung der Mehrsprachigkeit.

Forum: Was denken Sie über den Rückzug des Französischen in der Welt? Sind Sie der Ansicht, dass das Englische unsere Sprache auch inhaltlich beeinflusst?

C. Hagège: Internet ist absolut notwendig, weil es zu einem grundlegenden Kommunikationsmittel in einem großen Teil der Welt geworden ist. Offensichtlich schrumpft seit fünf oder sechs Jahren die Internetpräsenz des Angloamerikanischen. Zu diesem Zeitpunkt hätte man fast glauben können, dass die schon hinreichend starke angloamerikanische Welle nahezu die Gesamtheit dieses neuen Raumes überschwemmen würde. Das ist letztlich allerdings nicht eingetreten. Immer mehr Menschen haben nämlich begriffen, dass die Erstellung von Webseiten anderen Sprachen eine Ausdrucksmöglichkeit bietet. Beim Internet steht also viel auf dem Spiel. Sogar diejenigen, die sich in Frankreich für die gefährdeten Regionalsprachen Bretonisch, Flämisch, Okzitanisch, Baskisch, Korsisch, Elsässisch usw. stark machen, haben die Bedeutung des Internets begriffen und zahlreiche Webseiten erstellt. Deswegen bildet die Nutzung der Sprachen auf dem Net einen der wichtigsten Wege zum Schutz der Sprachen gegen den Einfluss des Angloamerikanischen.

Was das Französische betrifft, so müssen zwei Phänomene auseinander gehalten werden, zum einen die Aufnahme angloamerikanischer Wörter in den französischen Wortschatz und zum anderen die Ablösung des Französischen als Verkehrssprache durch das Englische. Ich persönlich bin als Linguist davon überzeugt, dass die Entlehnung eine der Voraussetzungen für die Lebendigkeit der Sprachen ist. Die Entlehnung als solche ist meines Erachtens unproblematisch, allerdings unter der Bedingung, dass sie unterhalb einer Schwelle bleibt, die ich als "Sättigungswert" bezeichnen möchte. Unterhalb dieser Schwelle ist die Entlehnung akzeptabel, darüber hinaus ist sie nicht mehr tragbar. Eine Sprache braucht allerdings Entlehnungen. Ich stelle trotzdem immer wieder fest, dass noch selbst die Kundigsten die beiden Sachverhalte vermengen: Die Behauptung, dass es in der französischen Sprache zu viele englische Wörter gebe - was keine Katastrophe bedeutet, wenn man den Sättigungswert als Maßstab anlegt -, ist etwas Anderes als die Feststellung, dass das Englische das Französische als Sprache ablöst, in der man sich an vielen Orten unterhält. Letzteres ist nämlich viel schwerwiegender als die Aufnahme englischer Wörter in den französischen Wortschatz. Natürlich ließe sich denken, dass es zwischen den beiden Parametern einen Zusammenhang gibt: Eine Sprache, die zu viel entlehnt, wird in letzter Konsequenz in der anderen aufgehen. Aber was das Französische betrifft, sind wir davon noch sehr weit entfernt. Ein ausgebildeter Sprachwissenschaftler kann sich nicht weiter darüber echauffieren, dass vieles aus dem Englischen entlehnt wird, weil Sprachen nun einmal so funktionieren.

Forum: Welche Hindernisse bestehen Ihrer Meinung nach dafür, dass Frankreich ein internationales Instrument wie die Minderheiten- und Regionalsprachencharta ratifiziert?

C. Hagège: Gar keine. Trotzdem fällt es der französischen Regierung aus einem hinreichend bekannten Grund ausgesprochen schwer, sich dieser Charta anzuschließen: Seit der Revolution bis in unsere Tage ist Frankreich durch und durch jakobinisch.

In der Revolutionszeit hielt man die Minderheitensprachen für sehr gefährlich, weil sie Sprachen waren, die der Republik Widerstand leisteten. Als der Konvent unter der Mehrheit der radikalen Bergpartei Abbé Grégoire, der trotz seines Amtes und seiner Sutane ein überzeugter und vertrauenswürdiger Revolutionär war, zusammen mit dem Abgeordneten Barère in die Provinz entsendet und Abbé Grégoire der Konvention nachgerade eine Anklageschrift vorlegt, in der er ausführt, dass die Gegenrevolution sich in den Regionalsprachen ausdrücke und dass die Basken eine Sprache sprächen, die der Republik feindlich gesonnen sei, bedeutet dies natürlich für die jakobinischen Machthaber, dass die Regionalsprachen die Sprachen der Feinde sind. Folgerichtig wurden diese Sprachen dann auch verfolgt.

Seitdem sind 200 Jahre vergangen. Diese Regionalsprachen sind, gerade weil sie verfolgt wurden, für das Französische von heute weit weniger gefährlich. Ich bin jemand, der sich gerne mit Sprachen und damit auch mit Regionalsprachen beschäftigt, und finde es bedauerlich, dass sich Bretonisch, Okzitanisch, Baskisch usw. in einer sehr bedrohlichen Situation befinden. Vor 200 Jahren stieß die Revolution allerdings in allen Teilen Europas auf Ablehnung. Die europäischen Königshäuser verabscheuten die Revolution, vor allem seit Januar 1793, als Ludwig XVI. hingerichtet wurde, und sie haben nur einen Gedanken: sie zu vernichten. Infolgedessen lassen sich die Säuberungsaktionen der Revolutionäre im Landesinneren leicht nachvollziehen. Wer eine Regionalsprache sprach - Abbé Grégoire hatte damit durchaus Recht -, gab in dieser Sprache eine durch und durch antirepublikanische Überzeugung kund. Seitdem hat sich der Kontext allerdings geändert. Der Jakobinismus der französischen Regierung lässt sich weniger leicht erklären. Trotzdem besteht offensichtlich in Frankreich eine starke jakobinische Tradition fort, die die Ratifizierung der Regionalsprachencharta verhindert. Jacques Chirac hat sich 1995 in der Bretagne für die Ratifizierung ausgesprochen. Édouard Balladur und Lionel Jospin mussten sich in dieser Frage ähnlich äußern. Der Staatsrat hingegen hat befunden, dass die Ratifizierung gegen Artikel 2 der Verfassung verstoße, der nämlich das Französische als Sprache der Republik vorschreibt, wohingegen die Charta den Sprechern einer Regionalsprache das Recht auf öffentliche Dienstleistungen (Post, Elektrizität etc.) und den Anspruch auf Gerichtsverhandlungen in ihrer eigenen Sprache einräumt. Für ein Land wie Frankreich, das seit der Monarchie und mehr noch seit der Revolution von einem starken Zentralismus und Jakobinismus geprägt ist, ist diese Situation schon sehr ungewöhnlich.

Forum: Vielleicht wäre es kompliziert und aufwändig, die notwendigen Schritte dafür einzuleiten…

C. Hagège: Mag sein. Es sei denn, die Regionen müssen die Kosten dafür übernehmen: Wenn ihr schon auf eurer Sprachautonomie besteht, dann könnt ihr ja auch dafür aufkommen. In diesem Fall käme es dem Staat nicht sehr teuer.

Forum: Ein anderes Argument wäre vielleicht, dass die Franzosen in der Schule ohnehin ein ziemlich schlechtes Französisch sprechen. Vielleicht sollte man sich besser mit diesem Problem beschäftigen, bevor man sich um die Regionalsprachen kümmert.

C. Hagège: Auch dieses Argument höre ich nicht zum ersten Mal. Es ist aber wohl nicht ganz ernst zu nehmen: Man müsste ja nur für einen qualitativ besseren Unterricht sorgen. Ob er es derzeit in hinreichendem Maße ist, lässt sich ja durchaus bestreiten. Die Schwierigkeiten, die die Franzosen in der Schule beim Erlernen ihrer eigenen Sprache haben, als Argument, um ihnen nicht noch eine weitere Sprache zuzumuten, scheint mir also unbegründet zu sein. Dieses Argument lässt die Tatsache unberücksichtigt, dass es sich nur um die Sprachen in bestimmten, zumeist am Rande Frankreichs gelegenen, nicht zentralen Regionen handelt. Das lässt sich geschichtlich erklären: Es handelt sich um die westlichen - baskischen und bretonischen - Randregionen und die östlichen Grenzgebiete. In jedem Fall wird diesen Sprachen nur in den Regionen, in denen sie gesprochen werden, Rechnung getragen, nicht jedoch in den anderen Teilen Frankreichs.

Übersetzung Forum (MT)

Veröffentlichungen (non exhaustive)

- "Halte à la mort des langues" - Ed. Odile Jacob, nov. 2000.
- "Le souffle de la langue" - Paris 1992, rééd. Poches Odile Jacob, 2000
- "Welche Sprache für Europa?" - Campus Verlag.
- "L’Enfant aux deux langues" - Ed. Odile Jacob, 1996.
- "Le Français, histoire d’un combat" - Ed. Michel Hagège, 1996.
-
"La Réforme des langues : histoire et avenir" - Hambourg, Buske, vol. I-II 1983, vol. III 1983-84, vol. IV 1989, vol. V 1990, vol. VI (avec I. Fodor) 1994.

 



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