Michel Fromont est Responsable de la maîtrise en droits français
et allemand de l'Université Paris I Panthéon-Sorbonne.
Die Rechtsregeln
werden mehr als jedes andere gesellschaftliche Phänomen weitgehend
durch die Vergangenheit und besonders auch durch die von den Staaten
geführte Politik bestimmt. Frankreich hat als erstes Land den
Weg zu einem national geprägten Recht eingeschlagen, da ja
bereits seit Ludwig XIV. ganze Rechtsbereiche mittels königlicher
Ordonnanzen geregelt wurden und die Lehre des französischen
Rechts im Gegensatz zum römischen und kanonischen Recht für
alle französischen Universitäten verbindlich wurde. Der
Code Napoléon und die Einrichtung eines Kassationsgerichtshofs
mussten dieses Bemühen um eine Nationalisierung des Rechts
nurmehr zu Ende führen, ein Bemühen, das einerseits gleichbedeutend
war mit einer Vereinheitlichung im nationalstaatlichen Rahmen und
andererseits mit einem Bruch gegenüber dem Recht anderer Länder.
Aufgrund der verspäteten Bildung des deutschen Nationalstaates
ist das deutsche Recht länger eines geblieben, das fremden
Einflüssen gegenüber offen war, und das jus commune -
d.h. ein Recht, das aus dem Studium des römischen Rechts, der
Werke der massgeblichen Rechtsgelehrten Europas und der Rechtsprechung
der wesentlichen Gerichtsbarkeiten hervorgegangen ist - bestand
auf deutschem Boden bis zur Verkündung des deutschen Bürgerlichen
Gesetzbuches im Jahre 1900; im 19. Jahrhundert musste es sich nur
der Konkurrenz des Code Napoléon erwehren, der in Baden und
linksrheinisch das ganze 19. Jahrhundert über Gültigkeit
beanspruchte, und natürlich der Entwicklung der Gesetzestätigkeit
in den verschiedenen deutschen Ländern. Und doch fuhr die deutsche
Rechtswissenschaft während des gesamten 19. Jahrhunderts mit
der Systematisierung der römischen Rechtsgrundsätze in
der Absicht fort, zu einem abstrakten System zu gelangen, das möglichst
streng sein sollte, und dieses Wirken schlägt sich auch in
weiten Teilen im Bürgerlichen Gesetzbuch von 1900 nieder. Der
Bruch im Rechtsdenken der beiden Länder war damit also weitgehend
vollzogen. Er wurde allerdings durch den I. Weltkrieg noch verschärft,
der zu einem fast kompletten Stillstand des intellektuellen Austauschs
zwischen den beiden Ländern führte. Leider ist die deutsch-französische
Aussöhnung in der Folge des II. Weltkriegs politischer Natur
geblieben, und der intellektuelle Austausch zwischen den Juristen
in Frankreich und Deutschland ist in den letzten fünfzig Jahren
relativ selten gewesen: Es genügt ein Vergleich der Fussnoten
in den um 1910 erschienenen Büchern mit denen in den Büchern
aus den 90er Jahren, um das Fehlen eines wirklichen Interesses an
dem jeweiligen Nachbarn zu konstatieren.
Diese Unkenntnis
des Anderen ist um so gravierender, als sich die im Jahre 1900 in
Deutschland angenommene Systematik und der Geist des französischen
Code civil stark voneinander unterscheiden. Frankreich hatte bei
der Kodifizierung unter Bonaparte zwei Hauptziele verfolgt: die
legislativen Errungenschaften der Revolution zu konsolidieren und
mittels Lehrwerken, die den Jurastudenten die Rechtslehre näherbrachten
(besonders die Werke von Pothier), eine ganze Reihe von Lösungen
zu bekräftigen, die sich aus der Rechtsprechung der vorrevolutionären
Gerichtsbarkeit und vor allem des Pariser Gerichtshofs ergaben;
deswegen wurde der Code civil auch in einer einfachen und daher
bisweilen etwas unzureichenden Sprache und nach einem Aufbau verfasst,
der eher praktischen Belangen Rechnung trug als wissenschaftlichen
Ansprüchen. Demgegenüber verfolgte Deutschland unter Wilhelm
II. ganz andere Ziele: Die Modernisierung des Rechts war bereits
erfolgt, und wichtig war nurmehr, den 1871 um Preussen herum begründeten
deutschen Staat mit einem Gesetzbuch zu versehen, das die Erkenntnisse
der deutschen Rechtslehre römischer Prägung aufgreifen
und somit gegenüber dem Code Napoléon (und damit im
übrigen auch dem österreichischen Gesetzbuch) abgrenzen
sollte. Daher ist das deutsche BGB durch seinen wissenschaftlichen
Charakter gekennzeichnet: Es ist ein Werk von Wissenschaftlern,
das sich hoch abstrakter Konzepte bedient wie z.B. der Willenserklärung
und des Rechtsaktes, eine sehr genaue, aber der Öffentlichkeit
wenig zugängliche Sprache pflegt und einem Aufbau folgt, der
vom Allgemeinen zum Besonderen, vom Abstrakten zum weniger Abstrakten
führt. Zwar hat die französische Rechtswissenschaft bis
1914 ein starkes Interesse für dieses Gesetzbuch bekundet,
später aber hat sie sich doch deutlich davon abgewandt. Selbst
dann wenn man von den 12 Jahren Hitlerismus absieht, haben sich
von da an die beiden Rechtsordnungen in wechselseitiger Unkenntnis
fortenwickelt.
Am überraschendsten
ist daran, dass sich die Situation seit 1945 kaum verändert
hat: Beide Länder sind ihrem jeweiligen Recht und damit dessen
Besonderheiten treu geblieben. Sie haben zwar beide eine Reihe von
Gesetzen verabschiedet, die den jeweiligen Bürgerlichen Gesetzbüchern
einen Teil ihrer Bedeutung nehmen, aber der deutsche Gesetzgeber
hat - sicherlich weil er die seit 1914 verlorene Zeit aufhohlen
wollte - oftmals reformfreudigere Gesetze verabschiedet als der
französische. Es genügt der Verweis auf das Gesetz von
1958 über die Beschränkung des Wettbewerbs, die Gesetze
aus den Jahren 1952 (1988 modifiziert) und 1976 über die Mitbestimmung
in personalintensiven Unternehmen, das Gesetz von 1976 über
die allgemeinen Geschäftsbedingungen. Frankreich ist dem deutschen
Vorbild häufig mit Verspätung und nur zögerlich gefolgt:
So ist der Wettbewerb erst seit einer Ordonnanz aus dem Jahre 1986
gesetzlich geregelt, und das Gesetz über missbräuliche
Klauseln hat erst mit dem Gesetz von 1995 definitive Gestalt angenommen;
was die Mitbestimmung betrifft, so ist sie von dem französischen
Gesetzgeber nie übernommen worden. Weiter unten wird noch einmal
von der Entwicklung des Verbraucherrechts die Rede sein.
Mehr noch,
die Grundhaltung der Rechtswissenschaftler in den beiden Ländern
ist nach wie vor sehr verschieden. Die Erscheinungsformen dieser
Unterschiede sind vielfältig und im übrigen leicht erklärbar.
Der erste Unterschied hat damit zu tun, dass das Recht in der deutschen
Gesellschaft von weitaus grösserer Bedeutung ist als in Frankreich:
Während die Unternehmen in Frankreich jegliches Prozessieren
vermeiden und dem Wortlaut ihrer Verträge nur eine nachlässige
Aufmerksamkeit zuteil werden lassen und die Bürger ihrerseits
weiterhin Bedenken haben, gegen den Staat zu prozessieren, herrscht
in Deutschland die umgekehrte Situation. Das kommt nicht allein
darin zum Ausdruck, dass in Deutschland die besten Studenten Jura
studieren, sondern auch darin, dass Juristen omnipräsent sind:
Es gibt sie in grosser Zahl (24.000 Gerichtsbeamte in Deutschland,
8.000 in Frankreich; 100.000 Anwälte in Deutschland, 40.000
in Frankreich), und sie sitzen in führenden Stellungen in Staat
und Wirtschaft; so ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Rechtsfragen
oft als grundlegend angesehen werden. Der zweite Unterschied hat
mit dem jeweiligen Status der Rechtswissenschaft und der Rechtsprechung
in den beiden Ländern zu tun: Während die französischen
Richter die Rechtsargumentation auf ihren einfachsten Ausdruck reduzieren
und der Rechtslehre nur eine alles in allem bescheidene Analyse-
und Kommentarfunktion zugestehen, lassen sich die deutschen Richter
stark von der Rechtslehre lenken, die bereitwillig hoch abstrakte
und oftmals komplexe Theoriegebäude errichtet, die sie ihnen
- und dem Gesetzgeber übrigens auch - unterbreitet. Kurzum:
In Frankreich ist das Recht eine Kunst und noch dazu eine bescheidene
Kunst; in Deutschland ist es eine Wissenschaft und noch dazu eine
anspruchsvolle Wissenschaft. Deshalb ist der Dialog zwischen den
Rechtssystemen der beiden Länder schwierig und damit auch begrenzt:
Beiden fällt es schwer, bei dem jeweiligen Gegenüber für
Kenntnis und Wertschätzung zu sorgen.
Der Austausch
zwischen den beiden Rechtssystemen ist in der Tat nicht sehr lebhaft.
Natürlich lassen sich die Übernahme der Mehrwertsteuer
in Deutschland anführen oder umgekehrt die verfassungsrichterliche
Rechtsprechung in Deutschland, die einen deutlichen Einfluss auf
das französische Pendant hatte. Manchmal lässt sich sogar
eine Art von spontaner Übereinstimmung beobachten, die dann
aber einfach einer zunehmenden Bedürfnisangleichung der beiden
nationalen Gesellschaften zuzuschreiben ist: Die Unterschiede in
den Ausbildungssystemen für Juristen bleiben zwar auch weiterhin
noch grundsätzlicher Natur, aber in Frankreich zum Beispiel
gewinnen die Zulassungsprüfungen für Ausbildungsinstitute
für Anwälte an Bedeutung, und umgekehrt ist in Deutschland
die Einheit von Rekrutierung und Ausbildung von Richtern und Anwälten
im Schwinden begriffen zugunsten eines dualen Systems, in dem dann
unterschiedliche Prüfungen und Berufsausbildungen für
den Richter- und Anwaltsstand nebeneinander existieren sollen.
Meistens ist
die Annäherung der beiden Rechtssysteme aber allein auf den
Willen der EU zurückzuführen, und selbst da erfolgt sie
nur auf niedrigstem Niveau, wie auch die Beispiele der Produkthaftung
und des Verbots missbräulicher Klauseln belegen.
Die EU-Richtlinie
vom 25. Juli 1985 bezüglich der Haftung für fehlerhafte
Produkte wurde in Deutschland von einem am 15. Dezember 1988 verabschiedeten
Gesetz umgesetzt und in Frankreich - nach einer Verurteilung durch
den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften im Jahre 1993
und dessen erneuter Anrufung durch die Kommission - mit dem Gesetz
vom 19. Mai 1998 (das den Code civil um die neuen Paragraphen ergänzt).
Die beiden Übertragungsgesetze haben nun aber eine Gemeinsamkeit:
Anstatt die alten Haftungsregelungen durch die neue zu ersetzen,
ergänzen sie die existierenden Regelungen lediglich um eine
weitere, und so wird den Geschädigten die Entscheidung über
dasjenige Gesetz überlassen, auf das sie sich zur Erlangung
einer Entschädigung berufen wollen. In §15 des deutschen
Gesetzes ist verfügt: "Eine Haftung aufgrund anderer Vorschrift
bleibt unberührt", und im neuen Artikel 1386-18 des Code
civil heisst es: "Die Rechte, auf die der Geschädigte
laut vertraglicher oder ausservertraglicher Haftung oder laut eines
gesonderten Haftungsprinzips Anspruch erheben kann, bleiben von
den Bestimmungen des vorliegenden Gesetzes unberührt".
Mit anderen Worten: Die Gesetzgeber haben sich darum bemüht,
das bestehende Recht so wenig wie möglich zu modifizieren,
und deswegen haben sich die beiden
Rechtssysteme
einander auch kaum angenähert.
Der Fall der
Übernahme der EU-Richtlinie vom 5. April 1993 bezüglich
missbräulicher Klauseln ist in bezug auf die Absichten des
Gesetzgebers, die nationalen Gesetzgebungen so wenig wie möglich,
d.h. streng nach den Forderungen der EU, zu vereinheitlichen, vielleicht
noch aufschlussreicher. Diesmal hat Frankreich als erstes die Übernahme
angestrengt, was sich in dem Gesetz vom 1. Februar 1995 niederschlägt.
Das ist übrigens weiter nicht besonders verdienstvoll, weil
die Richtlinie in weiten Teilen auf das französische System
zurückgriff und sich ebenso wie das französische Recht
den Standpunkt des Verbraucherschutzes zu eigen machte. Das mit
diesem Gesetz verfolgte Ziel bestand allein in der Festsetzung von
Lösungen, die bis dahin nur auf Rechtsprechung beruhten, womit
sich die EU nicht zufrieden gibt. In Deutschland dagegen hat hier
die Übernahme etwas mehr Zeit in Anspruch genommen, wird sie
doch erst in einem Gesetz vom 24. Juli 1996 verwirklicht. Diese
Verzögerung lässt sich leicht erklären: Während
die Richtlinie den Verbraucher so umfassend wie nur möglich
gegen jegliche Art von Klauseln schützen will, die diesem durch
den Gewerbetreibenden auferlegt werden, zielte das deutsche Gesetz
darauf ab, jedwede Person - einschliesslich bei Ausübung ihres
Berufs - gegen den systematischen Gebrauch von Klauseln zu schützen,
die vom Gewerbetreibenden vorformuliert sind. Die EU-Richtlinie
machte also einen radikalen Perspektivenwechsel notwendig, und logischerweise
hätte der Gesetzgeber die Regeln, die für Verbraucherverträge
gültig sind, von den für Gewerbeverträgen geltenden
Regeln trennen müssen. Der deutsche Gesetzgeber hat sich allerdings
damit begnügt, das Gesetz von 1976 über die allgemeinen
Geschäftsbedingungen um einige verbesserte Schutzbestimmungen
zugunsten der Verbraucher zu ergänzen, vor allem indem er den
Begriff der allgemeinen Geschäftsklausel auf bestimmte Klauseln
in den Verbraucherverträgen ausdehnte. Damit wurde die Angleichung
der beiden Gesetzgebungen auf das strikte Minimum reduziert.
Es könnten
noch viele Beispiele angeführt werden: Auch wenn das Gemeinschaftsrecht
stark unter dem Einfluss des französischen und des deutschen
Rechts steht, so führt doch dessen Übertragung keineswegs
zu spektakulären Angleichungen. Somit bleibt also noch viel
zu tun, bis sich die beiden Rechtssysteme, die doch dieselben Wurzeln
haben, sowohl in technischer als auch in grundsätzlicher Hinsicht
ähnlicher werden. Nur engere Verbindungen zwischen französischen
und deutschen Rechtsfachleuten können den herrschenden Trend
umkehren.
Eigene
Übersetzung des Forum
Veröffentlichungen
- "Les institutions de la République fédérale d'Allemagne"
- 3ème éd., Paris, 1999.
- "Grands systèmes de droit étrangers" - 3ème éd., Paris
1998.
- "La justice constitutionnelle dans le monde" - Paris 1996.
- "Droit administratif allemand" - traduction du livre de
Maurer, Paris 1995.
- "Das Wirtschaftsrecht der Telekommunikation in Frankreich"
- en collaboration avec J.-B. Blaise, Baden-Baden, 1992.
- "Introduction au droit allemand" - en collaboration avec
A. Rieg, 3 tomes (Fondements, Droit Public, Droit Pénal, Droit privé),
Paris 1977, 1984, 1991.
- "Le droit économique français" - Bruxelles, 1973.
- "Les recours contre les actes administratifs dans les pays
de la Communauté économique européenne" - en collaboration avec
J.-M. Auby.
- "Rechtsschutz gegenüber der Verwaltung in Deutschland, Frankreich
un den Europäischen Gemeinschaften", Köln, 1967.
- "La répartition des compétences entre les tribunaux civils
et administratifs en droit allemand" - Paris, 1960.
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