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• Französisches und deutsches Zivilrecht auf dem Wege der Annäherung ?
Es gibt eine Reihe von Unterschieden zwischen deutschem und französischem Recht, deutschen und französischen Juristen. So ist z.B. die Herangehensweise der Rechtswissenschaftler in den beiden Ländern nach wie vor sehr verschieden. Der erste Unterschied hat damit zu tun, dass das Recht in der deutschen Gesellschaft von weitaus größerer Bedeutung ist als in Frankreich. Der zweite Unterschied hat mit dem jeweiligen Status der Rechtswissenschaft und der Rechtsprechung in den beiden Ländern zu tun: Während die französischen Richter die Rechtsargumentation auf ihren einfachsten Ausdruck reduzieren und der Rechtslehre nur eine alles in allem bescheidene Analyse- und Kommentarfunktion zugestehen, lassen sich die deutschen Richter stark von der Rechtslehre lenken. © 1999
Prof. Michel FROMONT - Prof. und Leiter für Vergleichende Rechtslehre Frankreich-Deutschland an der Univ. Sorbonne


Michel Fromont est Responsable de la maîtrise en droits français et allemand de l'Université Paris I Panthéon-Sorbonne.

Die Rechtsregeln werden mehr als jedes andere gesellschaftliche Phänomen weitgehend durch die Vergangenheit und besonders auch durch die von den Staaten geführte Politik bestimmt. Frankreich hat als erstes Land den Weg zu einem national geprägten Recht eingeschlagen, da ja bereits seit Ludwig XIV. ganze Rechtsbereiche mittels königlicher Ordonnanzen geregelt wurden und die Lehre des französischen Rechts im Gegensatz zum römischen und kanonischen Recht für alle französischen Universitäten verbindlich wurde. Der Code Napoléon und die Einrichtung eines Kassationsgerichtshofs mussten dieses Bemühen um eine Nationalisierung des Rechts nurmehr zu Ende führen, ein Bemühen, das einerseits gleichbedeutend war mit einer Vereinheitlichung im nationalstaatlichen Rahmen und andererseits mit einem Bruch gegenüber dem Recht anderer Länder. Aufgrund der verspäteten Bildung des deutschen Nationalstaates ist das deutsche Recht länger eines geblieben, das fremden Einflüssen gegenüber offen war, und das jus commune - d.h. ein Recht, das aus dem Studium des römischen Rechts, der Werke der massgeblichen Rechtsgelehrten Europas und der Rechtsprechung der wesentlichen Gerichtsbarkeiten hervorgegangen ist - bestand auf deutschem Boden bis zur Verkündung des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches im Jahre 1900; im 19. Jahrhundert musste es sich nur der Konkurrenz des Code Napoléon erwehren, der in Baden und linksrheinisch das ganze 19. Jahrhundert über Gültigkeit beanspruchte, und natürlich der Entwicklung der Gesetzestätigkeit in den verschiedenen deutschen Ländern. Und doch fuhr die deutsche Rechtswissenschaft während des gesamten 19. Jahrhunderts mit der Systematisierung der römischen Rechtsgrundsätze in der Absicht fort, zu einem abstrakten System zu gelangen, das möglichst streng sein sollte, und dieses Wirken schlägt sich auch in weiten Teilen im Bürgerlichen Gesetzbuch von 1900 nieder. Der Bruch im Rechtsdenken der beiden Länder war damit also weitgehend vollzogen. Er wurde allerdings durch den I. Weltkrieg noch verschärft, der zu einem fast kompletten Stillstand des intellektuellen Austauschs zwischen den beiden Ländern führte. Leider ist die deutsch-französische Aussöhnung in der Folge des II. Weltkriegs politischer Natur geblieben, und der intellektuelle Austausch zwischen den Juristen in Frankreich und Deutschland ist in den letzten fünfzig Jahren relativ selten gewesen: Es genügt ein Vergleich der Fussnoten in den um 1910 erschienenen Büchern mit denen in den Büchern aus den 90er Jahren, um das Fehlen eines wirklichen Interesses an dem jeweiligen Nachbarn zu konstatieren.

Diese Unkenntnis des Anderen ist um so gravierender, als sich die im Jahre 1900 in Deutschland angenommene Systematik und der Geist des französischen Code civil stark voneinander unterscheiden. Frankreich hatte bei der Kodifizierung unter Bonaparte zwei Hauptziele verfolgt: die legislativen Errungenschaften der Revolution zu konsolidieren und mittels Lehrwerken, die den Jurastudenten die Rechtslehre näherbrachten (besonders die Werke von Pothier), eine ganze Reihe von Lösungen zu bekräftigen, die sich aus der Rechtsprechung der vorrevolutionären Gerichtsbarkeit und vor allem des Pariser Gerichtshofs ergaben; deswegen wurde der Code civil auch in einer einfachen und daher bisweilen etwas unzureichenden Sprache und nach einem Aufbau verfasst, der eher praktischen Belangen Rechnung trug als wissenschaftlichen Ansprüchen. Demgegenüber verfolgte Deutschland unter Wilhelm II. ganz andere Ziele: Die Modernisierung des Rechts war bereits erfolgt, und wichtig war nurmehr, den 1871 um Preussen herum begründeten deutschen Staat mit einem Gesetzbuch zu versehen, das die Erkenntnisse der deutschen Rechtslehre römischer Prägung aufgreifen und somit gegenüber dem Code Napoléon (und damit im übrigen auch dem österreichischen Gesetzbuch) abgrenzen sollte. Daher ist das deutsche BGB durch seinen wissenschaftlichen Charakter gekennzeichnet: Es ist ein Werk von Wissenschaftlern, das sich hoch abstrakter Konzepte bedient wie z.B. der Willenserklärung und des Rechtsaktes, eine sehr genaue, aber der Öffentlichkeit wenig zugängliche Sprache pflegt und einem Aufbau folgt, der vom Allgemeinen zum Besonderen, vom Abstrakten zum weniger Abstrakten führt. Zwar hat die französische Rechtswissenschaft bis 1914 ein starkes Interesse für dieses Gesetzbuch bekundet, später aber hat sie sich doch deutlich davon abgewandt. Selbst dann wenn man von den 12 Jahren Hitlerismus absieht, haben sich von da an die beiden Rechtsordnungen in wechselseitiger Unkenntnis fortenwickelt.

Am überraschendsten ist daran, dass sich die Situation seit 1945 kaum verändert hat: Beide Länder sind ihrem jeweiligen Recht und damit dessen Besonderheiten treu geblieben. Sie haben zwar beide eine Reihe von Gesetzen verabschiedet, die den jeweiligen Bürgerlichen Gesetzbüchern einen Teil ihrer Bedeutung nehmen, aber der deutsche Gesetzgeber hat - sicherlich weil er die seit 1914 verlorene Zeit aufhohlen wollte - oftmals reformfreudigere Gesetze verabschiedet als der französische. Es genügt der Verweis auf das Gesetz von 1958 über die Beschränkung des Wettbewerbs, die Gesetze aus den Jahren 1952 (1988 modifiziert) und 1976 über die Mitbestimmung in personalintensiven Unternehmen, das Gesetz von 1976 über die allgemeinen Geschäftsbedingungen. Frankreich ist dem deutschen Vorbild häufig mit Verspätung und nur zögerlich gefolgt: So ist der Wettbewerb erst seit einer Ordonnanz aus dem Jahre 1986 gesetzlich geregelt, und das Gesetz über missbräuliche Klauseln hat erst mit dem Gesetz von 1995 definitive Gestalt angenommen; was die Mitbestimmung betrifft, so ist sie von dem französischen Gesetzgeber nie übernommen worden. Weiter unten wird noch einmal von der Entwicklung des Verbraucherrechts die Rede sein.

Mehr noch, die Grundhaltung der Rechtswissenschaftler in den beiden Ländern ist nach wie vor sehr verschieden. Die Erscheinungsformen dieser Unterschiede sind vielfältig und im übrigen leicht erklärbar. Der erste Unterschied hat damit zu tun, dass das Recht in der deutschen Gesellschaft von weitaus grösserer Bedeutung ist als in Frankreich: Während die Unternehmen in Frankreich jegliches Prozessieren vermeiden und dem Wortlaut ihrer Verträge nur eine nachlässige Aufmerksamkeit zuteil werden lassen und die Bürger ihrerseits weiterhin Bedenken haben, gegen den Staat zu prozessieren, herrscht in Deutschland die umgekehrte Situation. Das kommt nicht allein darin zum Ausdruck, dass in Deutschland die besten Studenten Jura studieren, sondern auch darin, dass Juristen omnipräsent sind: Es gibt sie in grosser Zahl (24.000 Gerichtsbeamte in Deutschland, 8.000 in Frankreich; 100.000 Anwälte in Deutschland, 40.000 in Frankreich), und sie sitzen in führenden Stellungen in Staat und Wirtschaft; so ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Rechtsfragen oft als grundlegend angesehen werden. Der zweite Unterschied hat mit dem jeweiligen Status der Rechtswissenschaft und der Rechtsprechung in den beiden Ländern zu tun: Während die französischen Richter die Rechtsargumentation auf ihren einfachsten Ausdruck reduzieren und der Rechtslehre nur eine alles in allem bescheidene Analyse- und Kommentarfunktion zugestehen, lassen sich die deutschen Richter stark von der Rechtslehre lenken, die bereitwillig hoch abstrakte und oftmals komplexe Theoriegebäude errichtet, die sie ihnen - und dem Gesetzgeber übrigens auch - unterbreitet. Kurzum: In Frankreich ist das Recht eine Kunst und noch dazu eine bescheidene Kunst; in Deutschland ist es eine Wissenschaft und noch dazu eine anspruchsvolle Wissenschaft. Deshalb ist der Dialog zwischen den Rechtssystemen der beiden Länder schwierig und damit auch begrenzt: Beiden fällt es schwer, bei dem jeweiligen Gegenüber für Kenntnis und Wertschätzung zu sorgen.

Der Austausch zwischen den beiden Rechtssystemen ist in der Tat nicht sehr lebhaft. Natürlich lassen sich die Übernahme der Mehrwertsteuer in Deutschland anführen oder umgekehrt die verfassungsrichterliche Rechtsprechung in Deutschland, die einen deutlichen Einfluss auf das französische Pendant hatte. Manchmal lässt sich sogar eine Art von spontaner Übereinstimmung beobachten, die dann aber einfach einer zunehmenden Bedürfnisangleichung der beiden nationalen Gesellschaften zuzuschreiben ist: Die Unterschiede in den Ausbildungssystemen für Juristen bleiben zwar auch weiterhin noch grundsätzlicher Natur, aber in Frankreich zum Beispiel gewinnen die Zulassungsprüfungen für Ausbildungsinstitute für Anwälte an Bedeutung, und umgekehrt ist in Deutschland die Einheit von Rekrutierung und Ausbildung von Richtern und Anwälten im Schwinden begriffen zugunsten eines dualen Systems, in dem dann unterschiedliche Prüfungen und Berufsausbildungen für den Richter- und Anwaltsstand nebeneinander existieren sollen.

Meistens ist die Annäherung der beiden Rechtssysteme aber allein auf den Willen der EU zurückzuführen, und selbst da erfolgt sie nur auf niedrigstem Niveau, wie auch die Beispiele der Produkthaftung und des Verbots missbräulicher Klauseln belegen.

Die EU-Richtlinie vom 25. Juli 1985 bezüglich der Haftung für fehlerhafte Produkte wurde in Deutschland von einem am 15. Dezember 1988 verabschiedeten Gesetz umgesetzt und in Frankreich - nach einer Verurteilung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften im Jahre 1993 und dessen erneuter Anrufung durch die Kommission - mit dem Gesetz vom 19. Mai 1998 (das den Code civil um die neuen Paragraphen ergänzt). Die beiden Übertragungsgesetze haben nun aber eine Gemeinsamkeit: Anstatt die alten Haftungsregelungen durch die neue zu ersetzen, ergänzen sie die existierenden Regelungen lediglich um eine weitere, und so wird den Geschädigten die Entscheidung über dasjenige Gesetz überlassen, auf das sie sich zur Erlangung einer Entschädigung berufen wollen. In §15 des deutschen Gesetzes ist verfügt: "Eine Haftung aufgrund anderer Vorschrift bleibt unberührt", und im neuen Artikel 1386-18 des Code civil heisst es: "Die Rechte, auf die der Geschädigte laut vertraglicher oder ausservertraglicher Haftung oder laut eines gesonderten Haftungsprinzips Anspruch erheben kann, bleiben von den Bestimmungen des vorliegenden Gesetzes unberührt". Mit anderen Worten: Die Gesetzgeber haben sich darum bemüht, das bestehende Recht so wenig wie möglich zu modifizieren, und deswegen haben sich die beiden

Rechtssysteme einander auch kaum angenähert.

Der Fall der Übernahme der EU-Richtlinie vom 5. April 1993 bezüglich missbräulicher Klauseln ist in bezug auf die Absichten des Gesetzgebers, die nationalen Gesetzgebungen so wenig wie möglich, d.h. streng nach den Forderungen der EU, zu vereinheitlichen, vielleicht noch aufschlussreicher. Diesmal hat Frankreich als erstes die Übernahme angestrengt, was sich in dem Gesetz vom 1. Februar 1995 niederschlägt. Das ist übrigens weiter nicht besonders verdienstvoll, weil die Richtlinie in weiten Teilen auf das französische System zurückgriff und sich ebenso wie das französische Recht den Standpunkt des Verbraucherschutzes zu eigen machte. Das mit diesem Gesetz verfolgte Ziel bestand allein in der Festsetzung von Lösungen, die bis dahin nur auf Rechtsprechung beruhten, womit sich die EU nicht zufrieden gibt. In Deutschland dagegen hat hier die Übernahme etwas mehr Zeit in Anspruch genommen, wird sie doch erst in einem Gesetz vom 24. Juli 1996 verwirklicht. Diese Verzögerung lässt sich leicht erklären: Während die Richtlinie den Verbraucher so umfassend wie nur möglich gegen jegliche Art von Klauseln schützen will, die diesem durch den Gewerbetreibenden auferlegt werden, zielte das deutsche Gesetz darauf ab, jedwede Person - einschliesslich bei Ausübung ihres Berufs - gegen den systematischen Gebrauch von Klauseln zu schützen, die vom Gewerbetreibenden vorformuliert sind. Die EU-Richtlinie machte also einen radikalen Perspektivenwechsel notwendig, und logischerweise hätte der Gesetzgeber die Regeln, die für Verbraucherverträge gültig sind, von den für Gewerbeverträgen geltenden Regeln trennen müssen. Der deutsche Gesetzgeber hat sich allerdings damit begnügt, das Gesetz von 1976 über die allgemeinen Geschäftsbedingungen um einige verbesserte Schutzbestimmungen zugunsten der Verbraucher zu ergänzen, vor allem indem er den Begriff der allgemeinen Geschäftsklausel auf bestimmte Klauseln in den Verbraucherverträgen ausdehnte. Damit wurde die Angleichung der beiden Gesetzgebungen auf das strikte Minimum reduziert.

Es könnten noch viele Beispiele angeführt werden: Auch wenn das Gemeinschaftsrecht stark unter dem Einfluss des französischen und des deutschen Rechts steht, so führt doch dessen Übertragung keineswegs zu spektakulären Angleichungen. Somit bleibt also noch viel zu tun, bis sich die beiden Rechtssysteme, die doch dieselben Wurzeln haben, sowohl in technischer als auch in grundsätzlicher Hinsicht ähnlicher werden. Nur engere Verbindungen zwischen französischen und deutschen Rechtsfachleuten können den herrschenden Trend umkehren.

Eigene Übersetzung des Forum


Veröffentlichungen

- "Les institutions de la République fédérale d'Allemagne" - 3ème éd., Paris, 1999.
- "Grands systèmes de droit étrangers" - 3ème éd., Paris 1998.
- "La justice constitutionnelle dans le monde" - Paris 1996.
- "Droit administratif allemand" - traduction du livre de Maurer, Paris 1995.
- "Das Wirtschaftsrecht der Telekommunikation in Frankreich" - en collaboration avec J.-B. Blaise, Baden-Baden, 1992.
- "Introduction au droit allemand" - en collaboration avec A. Rieg, 3 tomes (Fondements, Droit Public, Droit Pénal, Droit privé), Paris 1977, 1984, 1991.
- "Le droit économique français" - Bruxelles, 1973.
- "Les recours contre les actes administratifs dans les pays de la Communauté économique européenne" - en collaboration avec J.-M. Auby.
- "Rechtsschutz gegenüber der Verwaltung in Deutschland, Frankreich un den Europäischen Gemeinschaften", Köln, 1967.
- "La répartition des compétences entre les tribunaux civils et administratifs en droit allemand" - Paris, 1960.



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