Die Welt befindet
sich derzeit im Umbruch. Das Schlagwort hierfür ist: "Globalisierung".
Europa bereitet sich darauf mit grossen Schritten vor. Die bisherige
Entwicklung der Europäischen Union hat sich in drei Abschnitten
vollzogen. Der erste Abschnitt war die Europäische Zollunion,
gekennzeichnet durch den gemeinsamen Aussenzolltarif, die im Jahre
1968 verwirklicht wurde. Der nächste war die Entwicklung zum
Europäischen Binnenmarkt, gekennzeichnet durch die Abschaffung
der Kontrollen an den Binnengrenzen zwischen den Mitgliedsländern.
Dieser Abschnitt war am 1.1.1993 abgeschlossen.
Derzeit befinden
wir uns in der dritten Phase der Entwicklung der wirtschaftlichen
Integration, die durch die gemeinsame Währung gekennzeichnet
wird. Diese Entwicklung wird in der nächsten Legislaturperiode
des Europäischen Parlaments verwirklicht werden, wenn der Euro
das einzige Zahlungsmittel in fast allen Ländern der Europäischen
Union sein wird. Zu diesem Zeit-punkt wird sich der bisherige Binnenmarkt
zu einem Europäischen Heimatmarkt weiterentwickelt ha-ben.
Der europäische
Binnenmarkt besteht zwar bereits seit 1993, in diesem Binnenmarkt
existieren jedoch weiterhin 15 nationale Heimatmärkte nebeneinander,
die nach wie vor durch Barrieren verschiedenster Art voneinander
abgeschottet sind.
In den nationalen
Heimatmärkten bestehen jeweils einheitliche Währungen,
während im Europäischen Binnenmarkt bisher 15 Bilanzen
in 14 unterschiedlichen Währungen erstellt werden mussten.
Im Heimatmarkt
besteht eine funktionierende Infrastruktur: Es gibt durchgängige
Verkehrsnetze, die Bereiche Telekommunikation und Energie versorgen
die Bevölkerung flächendeckend und ohne Unterbrechungen;
im Binnenmarkt ist dies noch nicht der Fall.
Im Heimatmarkt
gibt es eine Gesellschaftsform für Aktiengesellschaften, im
Binnenmarkt gibt es noch keine gesellschaftsrechtliche Form, die
es erlauben würde, mit einem Unternehmen ohne Tochtergesellschaften
den ganzen Markt abzudecken.
Im Heimatmarkt
wird die Mehrwertsteuer nach dem Ursprungslandsprinzip erhoben,
im Binnenmarkt gilt das Bestimmungslandprinzip. Mit diesen wenigen
Beispielen wird schon deutlich, wie weit wir noch von der Verwirklichung
des Europäischen Heimatmarktes entfernt sind.
Ein europäischer
Heimatmarkt, vergleichbar mit dem home market" der Vereinigten
Staaten, wird erst dann bestehen, wenn die Unternehmen das Gebiet
der Europäischen Union tatsächlich als ihren Heimatmarkt
betrachten können. Das wird erst dann der Fall sein, wenn beispielsweise
Lieferungen von Freiburg nach Lyon nicht mehr von der Auslandsabteilung
des Unternehmens abgewickelt werden, sondern in gleicher Weise bearbeitet
werden wie Lieferungen von Freiburg nach Frankfurt.
Die Einführung
der gemeinsamen europäischen Währung ist ein grosser Schritt
auf diesem Wege. Das wohl wichtigste Gegenargument, mit dem sich
die Befürworter der Währungsunion auseinandersetzen mussten,
bestand in der Frage, ob eine Währungsunion ohne politische
Union möglich sei. In der Tat gibt es kein historisches Beispiel
dafür, dass sich mehr als zehn Nationalstaaten zu einer gemeinsamen
Währung zusammengeschlossen hätten, ohne dass damit gleichzeitig
auch eine politische Union verbunden gewesen wäre.
Beispielsweise
war die deutsche Mark kein Schritt auf dem Wege zur nationalstaatlichen
Einigung Deutschlands im 19. Jahrhundert, vielmehr wurde die Reichsmark
erst nach 1870 eingeführt. Daraus wurde das Argument abgeleitet,
die Einführung einer gemeinsamen Währung sei kein Bestandteil,
sondern vielmehr die Krönung eines politischen Einigungsprozesses.
Bei den Verhandlungen
über den Vertrag von Maastricht hatte die Bundesregierung und
auch das Europäische Parlament das Ziel, Währungsunion
und politische Union gleichzeitig voranzubringen. Dazu gehörte
auch die Absicht, auf dem Gebiet der Aussen- und Verteidigungspolitik
eine gemeinsame Handlungsfähigkeit der Europäischen Union
herzustellen.
Trotz gewisser
Fortschritte, die in Maastricht und später in Amsterdam erzielt
wurden, wurde dies nicht erreicht. In der Währungspolitik spricht
die Europäische Union seit Januar 1999 mit einer Stimme, in
der Aussen- und Verteidigungspolitik sind wir noch weit davon entfernt.
Dies gilt auch für die Politik im Bereich der inneren Sicherheit.
Andererseits
kann man feststellen, dass die Europäische Union seit Maastricht
und Amsterdam über das Stadium eines Staatenbundes weit hinausgewachsen
ist. Daher spricht auch das Bundesver-fassungsgericht von einem
Staatenverbund, den man weder als Bundesstaat, noch als Staatenbund
bezeichnen kann. Die Europäische Union hat in den vergangenen
Jahren einen Stand der Integration erreicht, der vielen Bürgern
heute noch nicht bewusst ist.
Wir haben gemeinsame
Grenzen nach aussen und offene Grenzen im Innern der Europäischen
Union. Seit dem Vertrag von Maastricht gibt es die Unionsbürgerschaft,
die sich aus der Staatsbürgerschaft der Mitgliedsländer
ergibt, gleichzeitig aber auch ganz konkrete Rechte in der Europäischen
Union eröffnet.
Seit der Ratifizierung
des Vertrages von Maastricht haben die Bürger der Europäischen
Union das Recht, an ihrem Wohnort an kommunalen Wahlen und an der
Wahl des Europäischen Parlamentes teilzunehmen. Dies ist kein
Ausländerwahlrecht, sondern ein Recht, dass sich aus der Unionsbürgerschaft
ergibt.
Bei Reisen
ausserhalb der Europäischen Union haben die Unionsbürger
das Recht auf konsularischen Schutz auch bei den Botschaften und
Konsulaten anderer Mitgliedsländer der Europäischen Union.
Ausserdem haben
die Bürger der Europäischen Union die Rechte, die sich
bereits aus den Römischen Verträgen ergeben, insbesondere
das Recht auf Wohnen, Lernen und Arbeiten in allen Mitgliedsländern
der Europäischen Union. In der Form von Richtlinien und Verordnungen
erlässt die Europäische Union Gesetze, die in allen Mitgliedsländern
Geltung besitzen. Seit den Reformen der Verträge von Maastricht
und Amsterdam werden diese zunehmend in einem demokratischen Zweikammergesetzgebungsverfahren
vom Ministerrat und vom Europäischen Parlament erlassen.
Die Europäische
Union verfügt auch über ein Geflecht von Institutionen,
das stark genug ist, um ihre Kontinuität zu sichern. Seit 1979
hat sie ein direkt gewähltes Parlament, das in den vergangenen
Jahrzehnten Haushalts- und Gesetzgebungsrechte erworben hat, bei
der Bestellung der Exekutive mitwirkt und zunehmend seiner Aufgabe
gerecht wird, diese zu kontrollieren.
Diese Exekutive,
die europäische Kommission, verfügt über starke Handlungsmöglichkeiten
in den Zuständigkeitsbereichen, die der Europäischen Union
zugewiesen sind.
Dazu kommt
der Ministerrat der Europäischen Union, Vertretung der Mitgliedsländer
und zweiter Arm der Gesetzgebung der Europäischen Union.
Die stärkste
Institution der Europäischen Union ist der Europäische
Rat, der aus den Staats- und Regierungschefs der Europäischen
Union besteht und der bei seinen Sitzungen die Grundlinien der Gemeinschaftspolitik
festlegt.
Dazu kommt
der europäische Gerichtshof, der über die Einhaltung der
Regeln der Gemeinschaft wacht, der Rechnungshof, der die Ausgaben
kontrolliert, die europäische Zentralbank, welche nach der
Vorgabe der Verträge die Währungspolitik der Union gestaltet,
der Ausschuss der Regionen, der Wirtschafts- und Sozialausschuss
und der europäische Bürgerbeauftragte.
Dies zeigt,
dass die Europäische Union heute schon viele Merkmale eines
Staates besitzt, ohne selbst ein Staat zu sein oder dies anzustreben.
Sie ist vielmehr eine Gemeinschaft von Nationen, die beschlossen
haben, Teile der Souveränität gemeinsam auszuüben,
um dadurch ihre Leistungsfähigkeit zu verbessern. Dieses Konzept
war in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreich. Der erfolgreiche
Start des Euro ist dafür nur eines von zahlreichen Beispielen.
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