Die Einführung
des Euro ist eine entscheidende Phase der europäischen Einigung.
Es lassen sich
natürlich endlose Debatten darüber führen, ob der
Entscheidung für eine europäische
Währung
eine Reform der europäischen Institutionen hätte vorangehen
müssen. Genauso gut lässt sich fragen, ob man nicht von
Anbeginn an den Karren der Wirtschaft vor die Ochsen der Politik
gespannt hat. Diese Debatte ist so obsolet wie jene Fragestellung.
Bei Veröffentlichung dieser Zeilen ist die europäische
Einheitswährung bereits Realität. Bald wird sie das klingende
Zeugnis für die historische Zugehörigkeit zur europäischen
Kultur und zum europäischen Raum sein.
Was die Auswirkungen
auf die Wirtschaft in diesem Raum und die Zukunft der Staaten betrifft,
die ihn bilden, so scheint mir die Einheitswährung - sicher
wegen ihres monetären Charakters - zwei Fassetten aufzuweisen.
Ein erwarteter Endpunkt einerseits. Andererseits ein möglicher
Ausgangspunkt.
Auf der einen
Seite bedeutet der Euro die Vollendung des grossen Einheitsmarktes,
er beinhaltet die Aussicht auf eine soziale Verbesserung für
die europäischen Völker.
Es muss in
der Tat daran erinnert werden, dass der in Rom 1957 begonnene lange
Marsch - zuerst der Abbau der Zollschranken, dann die Angleichung
der Wettbewerbsbedingungen - vor der Notwendigkeit einer Währung
Halt machte. Die Einführung des Europäischen Währungssystems
(EWS) hat eine Zeit lang die Hoffnung genährt, es wäre
möglich, dieser Nowendigkeit aus dem Wege zu gehen. Das EWS
setzte allerdings voraus, dass die Wechselkurse zwar fest sind,
aber regelmässig angepasst werden. Da nun aber jede Anpassung
nachgerade Psychodramen hervorrief, entschloss man sich schliesslich
dazu, sich dessen nicht länger zu bedienen. Dieser Entschluss
konnte das System aber auch nicht retten. Er hat es vielmehr den
Spekulanten ausgeliefert, die daraus riesige Profite gezogen haben.
Es war somit also nicht länger möglich, die wirtschaftliche
Integration voranzutreiben, ohne zu einer Einheitswährung überzugehen.
Diesen Schritt nicht zu vollziehen hätte einen Rückschritt
bedeutet, und das Risiko, dreissig Jahre europäischen Einigungsprozess
in Frage zu stellen.
Unter diesen
Bedingungen ist die Hoffnung, die in den Euro gesetzt wird, im Grunde
sehr einfach. Für die Bürger bedeutet dies wegen der Erhöhung
des Wettbewerbsdrucks die Aussicht auf eine Senkung der Preise für
Waren- und Dienstleistungen. Es bietet also für einen Gutteil
der europäischen Bevölkerungen, besonders für die
weniger begüterten, die Möglichkeit, diese oder jene Ware
oder Dienstleistung leichter zu erwerben. Für die Unternehmen
bietet es die Möglichkeit, ihre Produkte auf dem grössten
Markt der Welt zu verkaufen: 300 Millionen Einwohner, 20% des Reichtums
dieser Welt. Für die Staaten bedeutet es die Garantie für
eine effizientere und solidarischere Geldpolitik. Es bedeutet auch
die Aussicht darauf, dass der Euro das Wachstum in Europa verstärken
wird, weil sich die Liberalisierung der Märkte automatisch
in einer Intensivierung des Handels innerhalb des Geltungsbereichs
niederschlagen dürfte. Aber auch deswegen, weil aufgrund des
nach amerikanischem Vorbild entstandenen Euromonopols die Zinssätze
auf einem niedrigen Niveau gehalten werden könnten. Ausserdem
könnten die Europäer jetzt ihrerseits zu den Amerikanern
sagen: Der Euro ist unsere Währung, aber euer Problem.
Im übrigen
hat der Euro bereits eine spürbare Wirkung erzielt, indem er
nämlich die Staaten in dem Euro-Raum von einer Geldstabilität
profitieren lässt, die während der Finanzturbulenzen vom
Ende des Sommers 1998 so wertvoll war. Wie eine unsichtbare Hand
hat er ausserdem die europäischen Regierungen daran gehindert,
auf eine übertriebene Ausgaben- und Staatsdefiziterhöhung
zurückzugreifen.
Dennoch: Der
Euro ist nur ein Versprechen. Es wäre kriminell, den Glauben
zu erwecken, er werde alle wirtschaftlichen, und zuallererst das
Arbeitslosigkeitsproblem beseitigen. Jedes einzelne der Länder
der Währungszone verfügt weiterhin über die Möglichkeit,
auf die Faktoren des Dilemmas zwischen sozialer Sicherung und Arbeit
Einfluss zu nehmen. Länder wie Frankreich, die sich für
ein sehr hohes Niveau der sozialen Sicherung entschieden haben,
werden dafür leider auch weiterhin das Opfer in Form von Arbeitslosigkeit
bringen, wenn sie nicht die Belastung durch Pflichtabgaben zurückführen.
Im übrigen
wird es sicherlich hier und da Verlierer geben. Ein verstärkter
Wettbewerbsdruck wird wohl eine Umstrukturierung der Industrie zur
Folge haben, deren Wohltaten denjenigen nicht eben leicht zu vermitteln
sein werden, die ihnen gerade zum Opfer fallen. So mancher in Spanien
geschaffener Arbeitsplatz wird vielleicht auf Kosten eines Arbeitsplatzes
gehen, der in Frankreich zerstört wurde. In dieser Hinsicht
könnte der Euro Gefühle der Enttäuschung, ja der
Ablehnung heraufbeschwören, die genauso gross sind wie die
Erwartungen, die er geweckt hat. Deswegen - es sei denn, man möchte
mit den Hoffnungen der Europäer sein Spiel treiben - dürfen
wir keiner Blauäugigkeit nachgeben und müssen wir auf
der Ebene des Ganzen und nicht der Teile argumentieren. Anders gesagt:
Wir müssen europäisch denken.
Dies wird um
so schwerer fallen, als die europäische Wirtschaftseinheit
trotz der Einheitswährung noch ziemlich unvollkommen erscheint.
Verglichen mit der amerikanischen Wirtschaft leidet sie auch weiterhin
unter einer fehlenden Haushaltspolitik, welche die Ungleichheiten
zwischen den verschiedenen Regionen aufheben könnte, und -
aus nahe liegenden Sprach- und Kulturschwierigkeiten - unter einer
unzureichenden geographischen Mobilität der Arbeiter.
Bedeutet dies,
dass der Föderalismus am Ende des Wegs wartet, dass er gewissermassen
die Nacht- und Kehrseite des Euro wäre?
Das ist möglich,
aber nicht sicher. Sicher ist nur, dass es den europäischen
Regierungen zunehmend schwerer fallen wird, sich noch lange mit
den jetzigen Institutionen zufrieden zu geben, die die Macht aufteilen
und die Verantwortlichkeiten zerstückeln.
Tatsächlich
wird vermutlich sehr bald die Notwendigkeit einer wirtschaftlichen
Steuerung spürbar werden, nicht allein um die externe Parität
der Einheitswährung zu bestimmen - ein Problem, das zum Teil
durch die Einrichtung des Euro-Rates gelöst ist -, sondern
auch um die Harmonisierung der Steuer-, Sozial- und Haushaltspolitik
zu Ende zu führen; eine notwendige Harmonisierung, wenn man
eine Standortverlagerung der Lebenskräfte unserer Wirtschaft
und eine Verarmung ganzer Landstriche in Europa vermeiden möchte.
Das gilt vor allem auch für die Haushaltspolitik.
Diesbezüglich
darf nicht übersehen werden, dass der haushaltspolitische Stabilitätspakt
zwar einerseits ein unumgängliches Beiwerk für eine Verankerung
in einer Stabilitätskultur, andererseits aber nur ein Notbehelf
ist. In einer integrierten Währungszone ist das Wichtige nicht
das Haushaltsdefizit eines jeden Elementes, sondern das Defizit
der Gesamtheit der Zone. Wäre es etwa denkbar, dass die französische
Regierung sich mit der Begründung, das Defizit in Lot-et-Garonne
übersteige den nationalen Durchschnittswert, weigert, in diesem
Departement Familienbeihilfen zu bezahlen?
Im übrigen
ist die Zentralbank das erste europäische Exekutivorgan föderaler
Natur, was weder die Kommission ist, die nicht über die letztgültige
Entscheidungsbefugnis verfügt, noch der Ministerrat, der ein
Kollegium von nationalen Ministern ist. Wie lange werden die europäischen
Regierungen es noch dulden, dass diese Institution ohne wirkliches
Gegengewicht bleibt?
Deswegen erscheint
mir eine Modifikation der europäischen Institutionen wünschenswert,
ist es in meinen Augen doch offensichtlich, dass die europäischen
Staaten viel mehr Freiheiten in einer Konföderation, die sich
als solche zu erkennen gibt, behalten werden denn in einer seelenlosen
Konstruktion sui generis ohne Legitimität, die sicher viele
Mitbürger an den Vorzügen Europas hat zweifeln lassen.
Vor allem lässt
sich Europa nicht auf eine Handelsorganisation reduzieren. Was mich
betrifft, der ich aus dem Osten komme und der ich den letzten Versuch
nationaler Hegemonie imperialistischen Anspruchs erlebt habe, so
kann ich das aussergewöhnliche Glück ermessen, das uns
heute zuteil wird, nämlich Europa nach dem Grundsatz der Kooperation
und auf der Grundlage der Anerkennung gemeinsamer Werte und des
wechselseitigen Respekts der Unterschiede errichten zu können.
Ein stärkeres Europa hätte die Massaker in Ex-Jugoslawien
wohl verhindern können.
Das geeinte
Europa geht weit über eine simple Wirtschafts- und Währungsdisziplin
hinaus. Es bedeutet auch eine hell leuchtende Toleranz und eine
weit strahlende Freiheit.
Unter diesen
Bedingungen ist der Euro weit mehr als eine simple Währungseinheit.
Er ist Teil eines konzeptuellen Projekts, einer Idee, einer Herausforderung:
der Frieden. Für uns wie für unsere Kinder ist der Euro
eine Devise.
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