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• Der Euro und seine Folgen
Wir müssen fähig sein, auf der Ebene des Ganzen und nicht der Teile zu argumentieren. Anders gesagt: Wir müssen europäisch denken. Der Euro wird nicht all unsere Wirtschaftsprobleme lösen, auch nicht das Problem der Arbeitslosigkeit. Jedes einzelne Land des Währungsraumes wird auch weiterhin über die Möglichkeit verfügen, auf die Faktoren des Dilemmas zwischen Sozialversicherung und Arbeitsmarkt Einfluss zu nehmen. Die Umgestaltung der europäischen Institutionen erscheint als politisch wünschenswert, ist es doch offensichtlich, dass die europäischen Staaten viel mehr Freiheiten innerhalb einer Konföderation behalten werden, die sich als solche zu erkennen gibt, als in einem seelenlosen Gebilde sui generis ohne Legitimation. © 1999
Christian PONCELET - Senatspräsident


Die Einführung des Euro ist eine entscheidende Phase der europäischen Einigung.

Es lassen sich natürlich endlose Debatten darüber führen, ob der Entscheidung für eine europäische

Währung eine Reform der europäischen Institutionen hätte vorangehen müssen. Genauso gut lässt sich fragen, ob man nicht von Anbeginn an den Karren der Wirtschaft vor die Ochsen der Politik gespannt hat. Diese Debatte ist so obsolet wie jene Fragestellung. Bei Veröffentlichung dieser Zeilen ist die europäische Einheitswährung bereits Realität. Bald wird sie das klingende Zeugnis für die historische Zugehörigkeit zur europäischen Kultur und zum europäischen Raum sein.

Was die Auswirkungen auf die Wirtschaft in diesem Raum und die Zukunft der Staaten betrifft, die ihn bilden, so scheint mir die Einheitswährung - sicher wegen ihres monetären Charakters - zwei Fassetten aufzuweisen. Ein erwarteter Endpunkt einerseits. Andererseits ein möglicher Ausgangspunkt.

Auf der einen Seite bedeutet der Euro die Vollendung des grossen Einheitsmarktes, er beinhaltet die Aussicht auf eine soziale Verbesserung für die europäischen Völker.

Es muss in der Tat daran erinnert werden, dass der in Rom 1957 begonnene lange Marsch - zuerst der Abbau der Zollschranken, dann die Angleichung der Wettbewerbsbedingungen - vor der Notwendigkeit einer Währung Halt machte. Die Einführung des Europäischen Währungssystems (EWS) hat eine Zeit lang die Hoffnung genährt, es wäre möglich, dieser Nowendigkeit aus dem Wege zu gehen. Das EWS setzte allerdings voraus, dass die Wechselkurse zwar fest sind, aber regelmässig angepasst werden. Da nun aber jede Anpassung nachgerade Psychodramen hervorrief, entschloss man sich schliesslich dazu, sich dessen nicht länger zu bedienen. Dieser Entschluss konnte das System aber auch nicht retten. Er hat es vielmehr den Spekulanten ausgeliefert, die daraus riesige Profite gezogen haben. Es war somit also nicht länger möglich, die wirtschaftliche Integration voranzutreiben, ohne zu einer Einheitswährung überzugehen. Diesen Schritt nicht zu vollziehen hätte einen Rückschritt bedeutet, und das Risiko, dreissig Jahre europäischen Einigungsprozess in Frage zu stellen.

Unter diesen Bedingungen ist die Hoffnung, die in den Euro gesetzt wird, im Grunde sehr einfach. Für die Bürger bedeutet dies wegen der Erhöhung des Wettbewerbsdrucks die Aussicht auf eine Senkung der Preise für Waren- und Dienstleistungen. Es bietet also für einen Gutteil der europäischen Bevölkerungen, besonders für die weniger begüterten, die Möglichkeit, diese oder jene Ware oder Dienstleistung leichter zu erwerben. Für die Unternehmen bietet es die Möglichkeit, ihre Produkte auf dem grössten Markt der Welt zu verkaufen: 300 Millionen Einwohner, 20% des Reichtums dieser Welt. Für die Staaten bedeutet es die Garantie für eine effizientere und solidarischere Geldpolitik. Es bedeutet auch die Aussicht darauf, dass der Euro das Wachstum in Europa verstärken wird, weil sich die Liberalisierung der Märkte automatisch in einer Intensivierung des Handels innerhalb des Geltungsbereichs niederschlagen dürfte. Aber auch deswegen, weil aufgrund des nach amerikanischem Vorbild entstandenen Euromonopols die Zinssätze auf einem niedrigen Niveau gehalten werden könnten. Ausserdem könnten die Europäer jetzt ihrerseits zu den Amerikanern sagen: Der Euro ist unsere Währung, aber euer Problem.

Im übrigen hat der Euro bereits eine spürbare Wirkung erzielt, indem er nämlich die Staaten in dem Euro-Raum von einer Geldstabilität profitieren lässt, die während der Finanzturbulenzen vom Ende des Sommers 1998 so wertvoll war. Wie eine unsichtbare Hand hat er ausserdem die europäischen Regierungen daran gehindert, auf eine übertriebene Ausgaben- und Staatsdefiziterhöhung zurückzugreifen.

Dennoch: Der Euro ist nur ein Versprechen. Es wäre kriminell, den Glauben zu erwecken, er werde alle wirtschaftlichen, und zuallererst das Arbeitslosigkeitsproblem beseitigen. Jedes einzelne der Länder der Währungszone verfügt weiterhin über die Möglichkeit, auf die Faktoren des Dilemmas zwischen sozialer Sicherung und Arbeit Einfluss zu nehmen. Länder wie Frankreich, die sich für ein sehr hohes Niveau der sozialen Sicherung entschieden haben, werden dafür leider auch weiterhin das Opfer in Form von Arbeitslosigkeit bringen, wenn sie nicht die Belastung durch Pflichtabgaben zurückführen.

Im übrigen wird es sicherlich hier und da Verlierer geben. Ein verstärkter Wettbewerbsdruck wird wohl eine Umstrukturierung der Industrie zur Folge haben, deren Wohltaten denjenigen nicht eben leicht zu vermitteln sein werden, die ihnen gerade zum Opfer fallen. So mancher in Spanien geschaffener Arbeitsplatz wird vielleicht auf Kosten eines Arbeitsplatzes gehen, der in Frankreich zerstört wurde. In dieser Hinsicht könnte der Euro Gefühle der Enttäuschung, ja der Ablehnung heraufbeschwören, die genauso gross sind wie die Erwartungen, die er geweckt hat. Deswegen - es sei denn, man möchte mit den Hoffnungen der Europäer sein Spiel treiben - dürfen wir keiner Blauäugigkeit nachgeben und müssen wir auf der Ebene des Ganzen und nicht der Teile argumentieren. Anders gesagt: Wir müssen europäisch denken.

Dies wird um so schwerer fallen, als die europäische Wirtschaftseinheit trotz der Einheitswährung noch ziemlich unvollkommen erscheint. Verglichen mit der amerikanischen Wirtschaft leidet sie auch weiterhin unter einer fehlenden Haushaltspolitik, welche die Ungleichheiten zwischen den verschiedenen Regionen aufheben könnte, und - aus nahe liegenden Sprach- und Kulturschwierigkeiten - unter einer unzureichenden geographischen Mobilität der Arbeiter.

Bedeutet dies, dass der Föderalismus am Ende des Wegs wartet, dass er gewissermassen die Nacht- und Kehrseite des Euro wäre?

Das ist möglich, aber nicht sicher. Sicher ist nur, dass es den europäischen Regierungen zunehmend schwerer fallen wird, sich noch lange mit den jetzigen Institutionen zufrieden zu geben, die die Macht aufteilen und die Verantwortlichkeiten zerstückeln.

Tatsächlich wird vermutlich sehr bald die Notwendigkeit einer wirtschaftlichen Steuerung spürbar werden, nicht allein um die externe Parität der Einheitswährung zu bestimmen - ein Problem, das zum Teil durch die Einrichtung des Euro-Rates gelöst ist -, sondern auch um die Harmonisierung der Steuer-, Sozial- und Haushaltspolitik zu Ende zu führen; eine notwendige Harmonisierung, wenn man eine Standortverlagerung der Lebenskräfte unserer Wirtschaft und eine Verarmung ganzer Landstriche in Europa vermeiden möchte. Das gilt vor allem auch für die Haushaltspolitik.

Diesbezüglich darf nicht übersehen werden, dass der haushaltspolitische Stabilitätspakt zwar einerseits ein unumgängliches Beiwerk für eine Verankerung in einer Stabilitätskultur, andererseits aber nur ein Notbehelf ist. In einer integrierten Währungszone ist das Wichtige nicht das Haushaltsdefizit eines jeden Elementes, sondern das Defizit der Gesamtheit der Zone. Wäre es etwa denkbar, dass die französische Regierung sich mit der Begründung, das Defizit in Lot-et-Garonne übersteige den nationalen Durchschnittswert, weigert, in diesem Departement Familienbeihilfen zu bezahlen?

Im übrigen ist die Zentralbank das erste europäische Exekutivorgan föderaler Natur, was weder die Kommission ist, die nicht über die letztgültige Entscheidungsbefugnis verfügt, noch der Ministerrat, der ein Kollegium von nationalen Ministern ist. Wie lange werden die europäischen Regierungen es noch dulden, dass diese Institution ohne wirkliches Gegengewicht bleibt?

Deswegen erscheint mir eine Modifikation der europäischen Institutionen wünschenswert, ist es in meinen Augen doch offensichtlich, dass die europäischen Staaten viel mehr Freiheiten in einer Konföderation, die sich als solche zu erkennen gibt, behalten werden denn in einer seelenlosen Konstruktion sui generis ohne Legitimität, die sicher viele Mitbürger an den Vorzügen Europas hat zweifeln lassen.

Vor allem lässt sich Europa nicht auf eine Handelsorganisation reduzieren. Was mich betrifft, der ich aus dem Osten komme und der ich den letzten Versuch nationaler Hegemonie imperialistischen Anspruchs erlebt habe, so kann ich das aussergewöhnliche Glück ermessen, das uns heute zuteil wird, nämlich Europa nach dem Grundsatz der Kooperation und auf der Grundlage der Anerkennung gemeinsamer Werte und des wechselseitigen Respekts der Unterschiede errichten zu können. Ein stärkeres Europa hätte die Massaker in Ex-Jugoslawien wohl verhindern können.

Das geeinte Europa geht weit über eine simple Wirtschafts- und Währungsdisziplin hinaus. Es bedeutet auch eine hell leuchtende Toleranz und eine weit strahlende Freiheit.

Unter diesen Bedingungen ist der Euro weit mehr als eine simple Währungseinheit. Er ist Teil eines konzeptuellen Projekts, einer Idee, einer Herausforderung: der Frieden. Für uns wie für unsere Kinder ist der Euro eine Devise.



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