Deutsch-französisches
Forum: Sie haben kürzlich ihren amerikanischen Amtskollegen,
den Staatssekretär im Handelsministerium Robert Zoellick in
Washington D.C. getroffen. Zu welchem Ergebnis sind Sie in den Gesprächen
gekommen?
Pascal Lamy:
Es war unsere erste Begegnung im Rahmen unserer handelspolitischen
Aufgaben, aber Bob Zoellick und ich kennen uns schon seit der Zeit,
wo wir als "Sherpas" für die G7-Treffen arbeiteten. Ich denke,
dass die wichtigste Übereinstimmung, die sich aus den Gesprächen
ergeben hat, darin besteht, dass wir uns dessen bewusst sind, dass
Auseinandersetzungen zwischen den jeweiligen Lagern in bestimmten
Bereichen kaum zu
vermeiden sein
werden, dass wir uns aber auch darüber einig sind, dass eine
Zusammenarbeit im gemeinsamen Interesse der Europäischen Union
und der Vereinigten Staaten liegt, um das Vorhaben der welthandelspolitischen
Verhandlungen voranzubringen. Hinsichtlich der Grundprinzipien unserer
Mission sind wir derselben Ansicht.
Bob Zoellick
und ich sehen die Handelsbeziehungen in einem weiteren, strategischen
und umfassenden Kontext. Wir glauben beide an die Notwendigkeit,
die Entwicklungsländer an dem weltumspannenden System der Handelsbeziehungen
teilhaben zu lassen, und fühlen uns beide von so wichtigen
Themen betroffen, wie z.B. der Möglichkeit, sich zu erschwinglichen
Preisen Arzneimittel zu verschaffen, um gegen tödliche Krankheiten
zu kämpfen. Diese Position spiegelt die Tatsache wider, dass
seit der "Belagerung" von Seattle die Frage der Handelsbeziehungen
nicht länger den Spezialisten anheimfällt, sondern einen
ausgesprochen politischen Charakter besitzt.
Zu meiner Freude
hat mir Bob Zoellick mitgeteilt, dass die Vereinigten Staaten auf
das multilaterale Handelssystem und eine neue Verhandlungsrunde
Wert legen, gleichzeitig aber auch die regionalen Austauschbeziehungen
aufmerksam verfolgen. Die wichtigste Zielsetzung der Union besteht
sicherlich darin, eine neue Verhandlungsrunde einzuläuten,
aber wir verfolgen natürlich auch regionale Interessen, vor
allem im Rahmen der Verhandlungen mit Chile und dem Mercosur. Eine
Zusammenarbeit ist von grundlegender Bedeutung, um dem Prozess der
Welthandelsorganisation (WHO) neue Impulse zu verleihen. Und ich
bin sicher, dass uns das auch gelingen wird.
Forum: Es
ist häufig die Rede von den Handelskonflikten zwischen der
EU und den USA. Sind Sie auch auf dieses Thema zu sprechen gekommen,
und haben Sie in diesem Fall etwas erreichen können?
P. Lamy: Natürlich
haben wir uns auch mit unseren bilateralen Problemen auseinandergesetzt.
Wir sind beispielsweise auf den Bananenstreit, den wir im übrigen
jetzt beigelegt zu haben glauben, das Problem der Hormonrinder sowie
das System der amerikanischen Foreign Sales Corporations zu sprechen
gekommen. Worin auch immer unsere Meinungsverschiedenheiten bestehen
mögen, wir sind uns über den zentralen Punkt einig, dass
die Regeln der WHO sowohl von den Vereinigten Staaten als auch von
der Europäischen Union respektiert werden müssen. Es sollte
dabei nicht vergessen werden, dass es nur um rund 2% unserer Handelsbeziehungen
geht. Angesichts des beträchtlichen Volumens der laufenden
Handelsbeziehungen kommt es von Zeit zu Zeit unvermeidlich zu Problemen:
Lassen Sie uns also nicht das Wesentliche aus den Augen verlieren.
Unsere Strategie besteht darin, die Probleme zu lösen oder
sie wenigstens vernünftig und pragmatisch anzugehen. Wie Sie
wissen, hat sich dieser Ansatz in dem Bananenstreit bereits ausgezahlt.
Ich bin der Überzeugung, dass wir in dieser Form auch mit der
neuen Regierung und - was nicht minder wichtig ist - mit dem Kongress
weiterarbeiten können.
Als ich im
September 1999 mein Amt angetreten habe, habe ich mir vorgenommen,
alle Hebel in Bewegung zu setzen, damit die Union sich den für
uns ungünstigen Entscheidungen der Sonderkommission der WHO
fügt. In der Bananenfrage war dies besonders schwierig, aber
wir haben die Grundlagen zu einem Abkommen gelegt, das einen Konflikt
beenden dürfte, der die transatlantischen Beziehungen allzu
lange belastet hat. Mein Kollege Franz Fischer, Kommissar für
Landwirtschaft, und ich haben uns immer wieder darum bemüht,
die Handelsregeln für Bananen zu modifizieren und sie den Regeln
der WHO anzugleichen. Nach intensiven Verhandlungen mit unseren
amerikanischen Amtskollegen ist es uns schließlich Mitte April
gelungen, uns auf eine Formel zu einigen, die in unseren Augen alle
Parteien zufrieden stellen sollte. Das neu eingerichtete System
wird eine Übergangslösung zu einem ausschließlich
tariflichen System bilden, das bis zum Jahre 2006 in Kraft treten
soll. In der Zwischenzeit werden die in die Europäische Union
importierten Bananen auf der Grundlage von Genehmigungen zugelassen,
die den zurückliegenden Handelsvolumen entsprechen. Am 1. Juli
2001 werden die Vereinigten Staaten die seit 1999 verhängten
Sanktionen gegen die Importe aus der Union aussetzen.
Forum: In
Washington haben Sie die Schwerindustrie als einen eventuellen Streitpunkt
genannt. Was wollten Sie damit sagen?
P. Lamy: Wir
wissen alle, wie wichtig und heikel die Frage der Schwerindustrie
ist. Damit dieser Wirtschaftszweig vor dem aktuellen Hintergrund
der Globalisierung überleben kann, müssen die Unternehmen
wettbewerbsfähig, die Konkurrenzbedingungen jedoch gerecht
sein. In der Europäischen Union hat die Schwerindustrie einem
schmerzhaften, letztlich aber erfolgreichen Rationalisierungsprozess
unterzogen werden müssen, in dessen Verlauf die Überschusskapazitäten
abgebaut sowie Leistungsfähigkeit und Qualität verbessert
wurden. In den Vereinigten Staaten jedoch ist in diesem Wirtschaftssektor
zu Antidumpingmaßnahmen gegriffen worden und zu Schutzklauseln,
so dass wir vor einem sehr ernsthaften Problem stehen. Angesichts
dessen fürchte ich, dass sich hier ein Konflikt abzeichnet.
Forum: Welche
hauptsächlichen Handelsfragen stehen Ihrer Meinung nach für
das Jahr 2001 an, und was erhoffen Sie zu erreichen?
P. Lamy: Die
Vorbereitung der neuen Verhandlungsrunde ist für das Gesamtjahr
unser oberstes Ziel, und wir hoffen, dass die vierte Ministerkonferenz
der WHO im November in Qatar zu einer Einleitung von Verhandlungen
führen wird. Wir müssen die Wähler zu beiden Seiten
des Atlantiks und auch den Rest der Welt davon überzeugen,
dass eine neue Verhandlungsrunde tatsächlich und faktisch notwendig
ist, die die traditionell von der WHO verfolgten Bemühungen
zur Unterstützung der Hersteller, Exporteure und Importeure
durch einen erleichterten Marktzugang in allen Bereichen fortsetzen
muss. Gleichwohl muss sie auch auf die Ängste der Zivilgesellschaft
eingehen, die sich mehr denn je für die handelspolitischen
Fragen interessiert. Darüber hinaus muss sie auch den Bedürfnissen
und Wünschen der weniger entwickelten Länder mehr Aufmerksamkeit
entgegenbringen, ohne eine nachhaltige Entwicklung aus den Augen
zu verlieren. Zu den großen Handelsthemen, die meiner Meinung
nach in diesem Jahr angeschnitten werden, gehört das Beitrittsverfahren
Chinas zu der WHO. Durch die Teilnahme dieses Landes würde
sie zu einer wirklichen Welthandelsorganisation. Der Schritt dazu
sollte zügig vollzogen werden.
Forum: Denken
Sie, dass das Jahr 2001 von dem Beginn einer neuen Verhandlungsrunde
geprägt sind wird?
P. Lamy: Ich
besitze keine Kristallkugel, aber ich hoffe schon. Die Union wird
auch in Zukunft alles daran setzen, diesem Projekt konkrete Gestalt
zu verleihen. Ich bin der Ansicht, dass es in diesem Jahr wahrscheinlicher
ist als in der Vergangenheit, dass eine neue Verhandlungsrunde eingeläutet
wird. Mir scheint, dass weltweit eine ganze Reihe von Ländern
sich dessen bewusst ist, dass das System der WHO selbst erschüttert
würde, wenn man den Termin zu lange hinauszögerte. Gerade
die Entwicklungsländer hätten am meisten zu verlieren,
denn sie hätten bei regionalen und bilateralen Abkommen bei
weitem nicht dieselbe Verhandlungsmacht wie innerhalb der WHO. Ich
glaube, dass die Gerüchte über eine Weltwirtschaftsrezession
alle Parteien dazu veranlassen werden, sich auf die Aufnahme der
Verhandlungen zu konzentrieren. Eine neue Verhandlungsrunde bedeutet
tatsächlich die sicherste Vorbeugung gegen eine Rezession,
denn sie trägt zu einem kontinuierlichen Wirtschaftswachstum
bei.
Übersetzung
Forum (MT)
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