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Editorial 2001
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E D I T O R I A L © 2001
DIE TRANSATLANTISCHE PARTNERSCHAFT IM UMBRUCH
Andreas
Präsident des
SCHWAB
deutsch-französisches Forum (de)
Xavier PACREAU
Präsident des deutsch-französisches Forum (fr)


Braucht Amerika Europa? Und wenn ja, was für ein Europa?

Die amerikanische Vision von Europa unterscheidet sich von unserer eigenen Selbstsicht. Sie scheint eher einem Raum des Friedens und der Sicherheit zu entsprechen, der sich von den baltischen Staaten bis zur Türkei erstreckt und seine Tore auch gegenüber Russland nicht verschließt. Durch dieses geographisch definierte Europa könnte die für die wirtschaftliche Entwicklung und den Ausbau der Austauschbeziehungen auf dem alten Kontinent und darüber hinaus notwendige Stabilität ihre Strahlkraft entfalten. Dieses räumlich bestimmte Europa, das auf einer politischen Zusammenarbeit beruht, unterscheidet sich allerdings vor allem im Hinblick auf seine Gestalt und seine Zweckbestimmung von einem auf einer Integrationspolitik beruhenden Europa als Union. Das Europa aus Sicht Amerikas ist somit also nicht identisch mit dem Europa, wie wir es sehen!

Auch wenn unsere Vorstellungen von Europa unterschiedlich sein mögen und wir in manchen Bereichen aneinander geraten, lässt sich auf anderen Gebieten eine zunehmende Konvergenz zwischen Europa und den Vereinigten Staaten beobachten. Seit einigen Jahren lässt sich nämlich bemerken, wie die Herausbildung einer "neuen atlantischen Wirtschaft", deren Einfluss weltweit von ausschlaggebender Bedeutung ist, an Tempo gewinnt.

Sollte diese Annäherung etwa dem Schulterschluss der Zivilisationen, wie er von Samuel P. Huntington beschrieben wurde, der Verengung des westlichen "Kulturraumes" (F. Braudel) gemäß unserer kulturellen Wahlverwandschaft entsprechen, um den möglichen Niedergang der westlichen Welt zu vermeiden und anderen, auf den Plan tretenden Zivilisationen die Stirn zu bieten? Im Sinne dieser Logik sollten die verantwortlichen Politiker Amerikas aufgrund ihres Pragmatismus ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass sie, wenn sie Europa brauchen, damit auch ein Mehr an Europa brauchen. Wenn nämlich die künftigen Konflikte nicht mehr eine Folge der Ideologien sein werden, sondern sich aus dem Zusammenprall der Kulturen ergeben, dann scheint es notwendig zu sein, dass der europäische Integrationsprozess sich weiterentwickelt, damit Europa einen kohärenten und starken Pol innerhalb der westlichen Welt spielt. Europa müsste dann besser durchorganisiert und stärker integriert sein, um sich dadurch in den Stand zu versetzen, als echter Impulsgeber innerhalb der transatlantischen Beziehungen aufzutreten und keine "zweitrangige Macht" (J. Rovan) zu bleiben. In diesem Sinne bedeutet ein Mehr an Europa nicht ein Weniger an Amerika, sondern ein zusätzliches Schwungrad für die transatlantischen Beziehungen, wie es beispielsweise auch der ehemalige Berater von Präsident Carter formuliert: "Gerade weil die europäische Integration langsam vorangeht und die politischen Strukturen Europas nicht den amerikanischen entsprechen werden, braucht Amerika keine Angst davor zu haben, dass ihm ein Rivale erwächst."

Wenn Europa den Machtstatus erreichen möchte, auf den es Anspruch erheben kann, dann wäre vor diesem Hintergrund der Gedanke verfehlt, es strebe einen Alleingang an und wolle eine Abkoppelung der europäischen von der amerikanischen Verteidigung, wie es der ehemalige Staatssekretär Henry Kissinger zu fürchten scheint. Es ist vielmehr eine normale Entwicklung, dass der Aufbau einer wirklichen Europäischen Union eine wachsende Beteiligung ihrer Vertreter innerhalb der Institutionen beinhaltet, an denen die verschiedenen Mitgliedstaaten teilnehmen. Wenn Europa in bestimmten Instanzen mit einer Stimme sprechen möchte, muss es dazu berechtigt sein, ohne dass deswegen die Institution selbst in Frage gestellt wird. Dieses Problem stellt sich vor allem auch im Rahmen der NATO. Europa sollte dazu in der Lage sein, den "europäischen Pfeiler" zu stärken und eine ESVI zu entwickeln, ohne dass daraus für die transatlantische Partnerschaft ein Destabilisierungsfaktor entsteht. Selbst Zbigniew Brzezinski ist denn auch der Ansicht, dass angesichts der europäischen Integration die Allianz "keiner Generalüberholung bedarf"; notwendige Anpassungsmaßnahmen werden nur dann erfolgen, wenn Europa sein Wesen und seine Ziele deutlicher bestimmt haben wird. Unsere Partner können - selbst einem sich herausbildenden - Europa gegenüber erst dann eine klare Position einnehmen, wenn wir deutlicher skizzieren, wonach wir eigentlich streben, weil gerade unsere eigenen Ungewissheiten bei unseren Partnern zumeist Ängste wecken.


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