Als sich Cecil
Rhodes, der grosse Abenteurer Britisch-Südafrikas, dazu
entschlossen hatte, sein beträchtliches Vermögen in den
Dienst seiner geopolitischen Konzeptionen zu stellen, begründete
er eine Stiftung, um die künftigen britischen und amerikanischen,
aber auch - was nach 1918 ausser Gebrauch geriet - die deutschen
Eliten durch eine Hochschulausbildung in Oxford und Cambridge einander
näher zu bringen. In der Vorstellung des viktorianischen Englands
war dieses weite mitteleuropäische Reich preussischer und protestantischer
Prägung unter der Herrschaft Kaiser Wilhelm II, des leiblichen
Enkels der grossen Königin, der natürliche und feste Verbündete
des britischen Empires, und die spätere Hinzunahme zu diesem
Bündnis der zusehends mächtiger werdenden Vereinigten
Staaten sollte die Machtstruktur des anbrechenden 20. Jahrhunderts
für alle Zeiten ergänzen: Niemand würde dieses Kräftedreieck
London-Berlin-Washington dauerhaft herausfordern können, dessen
intellektuelle Einigung mit den "Rhodes scholarships"
bevorstand.
Es ist bekannt,
was aus diesem etwas hoch fliegenden Traum vom "Ende der Geschichte"
à la Cecil Rhodes geworden ist. Diese grossartige Idee, die
an der Somme ein jähes Ende fand, wurde jedoch im Bloomsbury
der 20er Jahre von der britischen liberalen Linken wiederaufgegriffen,
vor allem aber von der isolationistisch und profaschistisch gesonnenen
konservativen Rechten in den 30er Jahren sowohl in Amerika als auch
in Grossbritanien.
Seit der asymptotischen
Annäherung Frankreichs und Deutschlands nach 1945 hat sich
gewissermassen das umgekehrte Phänomen ereignet: Wir waren
hinter Charles de Gaulle die kleinkrämerischen Fürsprecher
einer neuartigen Kontinentalsperre, welche die Engländer unablässig
darin bestärkten, sich nicht ernsthaft für die Geschäfte
des gemeinschaftlichen Europas zu engagieren. Kurzum - um es mit
der Schärfe machiavellistischer Einsicht zu formulieren -,
die beständige Politik Frankreichs in diesem ausgehenden Jahrhundert
war es, entweder die Verständigung zwischen Deutschland und
England zu hintertreiben oder aber Zwist zu säen. Im kommenden
Jahrhundert wird diese Maxime genauso wenig haltbar sein wie so
viele andere.
Da sorgt die
Regierungsübernahme von Gerhard Schröder nur für
eine natürliche und notwendige Beschleunigung, so dass wir
dessen vielleicht noch rechtzeitig gewahr werden.
Bereits im
späten 17. Jahrhundert hatten nämlich England und die
protestantischen Fürsten von Hannover, Zentrum des heutigen
Niedersachsen, durch Personalunion dieses an die britische Krone
anschliessen wollen.
Schon im Jahre
1945 bemühten sich eine Reihe von ausgesuchten Experten aus
London - zumeist der Labour Party - mit grösster Selbstverständlichkeit
in eben dieser wieder zum Zentrum der britischen Besatzungszone
aufgestiegenen Region um den Wiederaufbau einer anglophilen politischen
Klasse und einer stark arbeiter- und gewerkschaftszentrierten Sozialdemokratischen
Partei, die unter der eisernen Führung einer Gruppe ehemaliger,
gerade erst aus den Lagern befreiter Deportierter stand und deren
Anführer Egon Franke hiess.
Dem jungen
Gerhard Schröder und seinen Weggenossen aus der dem Kommunismus
nahe stehenden Linken der Jusos ist es nur unter grösster Anstrengung
gelungen, diese alte Garde in den frühen 70er Jahren abzulösen,
doch sie konnten sich dabei der Unterstützung Willy Brandts
sicher sein, den Frankes Kritik an der Ostpolitik stark aufgebracht
hatte. Die Frage ist allerdings legitim, in welchem Masse nicht
auch Gerhard Schröder, der seit seinem Eintritt in die Jusos
mit der Bewunderung für die britische Labour Party gross wurde,
eine spektakuläre Kurskorrektur vornehmen und nunmehr die anglophilen
Vorstellungen eines Egon Franke annehmen könnte.
In Wahrheit
geht es aber um weit mehr als um Geschichte und Geographie: Zwei
Gesellschaften haben sich aus nahezu symmetrischen Gründen
aufeinander zubewegt. Deutschland - das ist zu einem Gemeinplatz
geworden - strebt nach einer neuen Normalität, die auch ein
Aufweichen seiner europäischen, vor allem finanziellen Verpflichtungen
und damit als unausweichliche Konsequenz eine moderate Lockerung
seiner ausschliesslichen Beziehung zu Frankreich beinhaltet. Die
Briten bekommen ihrerseits langsam begründete Zweifel an der
Ausschliesslichkeit ihrer Bindungen zu einem Amerika, das sie mit
Unruhe erfüllt, und versuchen sich somit verstärkt Kontinentaleuropa
anzuschliessen, wo sie aber noch einmal (fast) von vorne beginnen
müssen, weil sie es in den 50er Jahren versäumt haben,
die von allen Europäern - einschliesslich Frankreichs - angetragene
Führungsposition anzunehmen.
Wunsch nach
Neugewichtung
Engländer
und Deutsche werden heute nun von Parteien regiert, deren Entwicklung
weitgehend parallel verläuft: Als Regierungsparteien par excellence
während der Hochphase des sozialdemokratischen Keynesianismus
haben Labour und die SPD zeitgleich den Eindruck erweckt, sich Anfang
der 80er Jahre bewusst ins Abseits zu stellen, als sie hinter einer
prokommunistischen 68er-Generation verschwanden, die Führungspositionen
übernahm und durch eine vollständige Verantwortungslosigkeit
in diplomatischen Fragen und ein um sich greifendes Unverständnis
für wirtschaftliche Zusammenhänge auffiel. Der Heilungsprozess
verlief dementsprechend langsam und schrittweise und mündet
jetzt in eine Art "Neubeginn" einer Linken, die nichts
so sehr wünscht, als ihre jüngste Vergangenheit wie einen
bösen Traum zu vergessen.
Engländer
und Deutsche haben auch gelernt, bei dem ersten Modell eines europäischen
Kampfflugzeugs zusammenzuarbeiten, während das Unternehmen
Dassault nacheinander bei zwei französischen Präsidenten
eine grandiose und kostspielige Rafale durchsetzte, deren wesentlicher
strategischer Nutzen vor allem darin lag, eine stärkere Annäherung
als vorhersehbar von British Aerospace (Bae) und Dasa zu betreiben,
die sogar die Aussicht auf eine schnelle Fusion eröffnet, aus
der Frankreich isoliert und in einer Minderheitsposition beim Airbus
hervorgehen würde; nur eine späte, wie von der Vorsehung
geschickte Allianz zwischen Aérospatiale und Matra könnte
uns dank einer strategischen Verständigung von Matra und Bae
noch vor dem Schlimmsten bewahren.
Ausserdem haben
sich ihre Automobilindustrien aufeinander zubewegt, so dass Rolls-Royce
zu einer Hausmarke von Volkswagen wurde; und schliesslich wurde
die deutsche Rolle in der City durch den Aufkauf - kurz vor der
tragischen Ermordung Herrhausens - von Morgan Grenfell durch die
Deutsche Bank verstärkt, was auch Helmut Kohls spektakulärer
Besuch vor zwei Jahren bekräftigte, der dort erfolgreich für
den Euro warb, und dann gab es auch die im übrigen völlig
natürliche Verbindung zwischen den Börsen London und Frankfurt
dank erneuter französischer Willenlosigkeit.
Vergessen wir
dabei schliesslich auch nicht die Rolle der Niederlande, Schwedens,
ja sogar der Schweiz, die alle seit 1945 historisch mit London verbunden
sind: Sie sind alle im Begriff, wieder eine starke kulturelle Identität
mit der Berliner Republik auszubilden, und wünschen sich eine
Neugewichtung des europäischen Hauses zugunsten Nordeuropas,
dessen Interesse mehr der Marktdisziplin als den etatistischen Höhenflügen
der Romanen gilt.
So sieht sich
Frankreich also einer eigenartigen Herausforderung gegenüber
gerade in dem Augenblick, wo der vielversprechende Euro-Start uns
in der Illusion wiegen konnte, einer glücklichen Zukunft entgegenzustreben.
Um gewissen Enttäuschungen in der Zukunft vorzubauen, ist grundlegende
Vorsicht geboten. Liegt unser eigenes Wesensmerkmal von Richelieu
bis Delcassé nicht darin, die Freiheiten in Europa zu verteidigen,
was uns eigentlich dazu führen sollte, ein kontinentales Dreierdirektorium
u.a. im Namen der unveräusserlichen Rechte Italiens, Schwedens
oder der Niederlande abzulehnen, die nicht gering zu schätzen
sind? Das wäre der sicherste Weg dazu, dass sich nach und nach
eine nordeuropäische Ideenmehrheit gegen uns herauskristallisiert,
ohne dass Rom oder Madrid deswegen in das Lager eines "französischen"
Südeuropas stossen würden, das dabei notwendigerweise
verlieren müsste.
Grundlegende
Vorsicht
Denken wir
schliesslich immer an Amerika, ohne jemals darüber zu sprechen.
So wie wir hat auch die britische Führung nach dem Attentat
des republikanisch bestimmten Kongresses auf Bill Clinton im tiefsten
Innern sehr genau begriffen, dass die Vereinigten Staaten zur Führung
der demokratischen Welt völlig ungeeignet geworden sind und
dass sie in diesem halbbarbarischen Zustand noch eine ganze Weile
verharren werden, auch wenn Tina Brown, die ehemalige britische
Direktorin des "New Yorker", nunmehr zu Disney World gewechselt
ist. So wollen wir die USA also nicht mit verbitterten antiamerikanischen
Parolen herausfordern: Für uns sprechen die schwerwiegenden
Neigungen des Kongresses zu einer kleinkrämerischen, protektionistischen
und potentiell isolationistischen Nabelschau. Das wird genügen,
um die Engländer, wenn wir es nicht übertreiben, jeden
Tag ein wenig mehr von Europa zu überzeugen.
Unter der Voraussetzung
grundlegender Vorsicht dürfte Frankreich von einem Mann wie
Gerhard Schröder nichts zu befürchten haben, der genauso
wenig wie wir die europäische Integration aufzuhalten oder
die Fundamente des Gesellschaftsvertrags infrage zu stellen wünscht.
Aber wir haben auch von dem grossen britischen Volk nichts zu befürchten,
das doch zu unser aller Wohl den "Welfare State" erfunden
hat. Es liegt an uns, uns nicht ganz allein zu isolieren aus Angst
vor der Geschichte, die vor unseren Augen abläuft.
Eigene
Übersetzung des Forum
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