Mehr als je
zuvor stellt sich die Frage der richtigen Ausbalancierung der Aufgaben
zwischen der EU, den Mitgliedstaaten und den Regionen. Schon heute
fallen annähernd die Hälfte aller bedeutenden politischen
Entscheidungen in Brüssel. In manchen Bereichen, vor allem
bei der Wirtschafts- und der Agrarpolitik, liegt dieser Prozentsatz
sogar noch erheblich höher. Die Einführung des Euro, die
fortschreitende Globalisierung der Wirtschaft und die bevorstehende
Reform der inneren Politiken der EU im Zuge der Osterweiterung werden
Europa weiter zusammenwachsen lassen. Der Binnenmarkt muss endlich
vollendet, unfaire Steueroasen müssen ausgetrocknet werden.
Doch wie weit soll die Vereinheitlichung gehen? Wollen wir ein zentralistisches
Europa, das mit grosser Machtfülle ausgestattet ist und sich
möglichst aller Fragen annimmt, die die Bürger interessieren
- von der Sicherung des Arbeitsplatzes bis hin zur Verhütung
von Unfällen im Haus? Oder wollen wir ein Europa, das sich
auf die übergreifenden Aufgaben beschränkt, die auf nationaler
und regionaler Ebene nicht mehr ausreichend bewältigt werden
können?
Derzeit besteht
eine gewisse Schieflage zwischen dem Handeln der EU und den eigentlichen
Erfordernissen. Die EU macht zu wenig Notwendiges und zu viel Überflüssiges.
In Rechtsetzung und über 300 Mitteilungen, Weiss- und Grünbüchern
der letzten drei Jahre finden sich dafür zahlreiche Beispiele
wie etwa die Mitteilung über die Leistungen der Daseinsvorsorge,
die Förderung des Fremdenverkehrs oder das Aktionsprogramm
zur Verhütung von Selbstmorden, Schulweg- und Haushaltsunfällen.
Andererseits fehlt es an einer gemeinsamen Haltung zu aussen- und
sicherheitspolitischen Fragen ebenso wie an der gemeinschaftlichen
Bewältigung der Asyl- und Flüchtlingsströme oder
einem geschlossenen Auftreten in Weltwirtschaftsfragen.
Notwendig ist
eine strikte Anwendung des Subsidiaritätsprinzips auf der Grundlage
klarer Kompetenzzuweisungen. Europa soll sich mit dem befassen,
was in den Mitgliedstaaten, Regionen und Städten nicht hinreichend
geregelt werden kann. Wo hingegen ein Tätigwerden auf der Ebene
der Mitgliedstaaten, Regionen oder Kommunen ausreicht, soll die
Verantwortung auch dort bleiben. Das dient der Vielfalt, der Bürgernähe
und letztlich der Effizienz. Es stärkt Eigenverantwortung und
beugt undurchsichtigen zentralistisch-bürokratischen Strukturen
vor, die -wie nicht zuletzt die jüngsten Fälle von Misswirtschaft
zeigen- Europa mehr schaden als nützen.
Starke Regionen
sind notwendig, wenn die Akzeptanz für den europäischen
Einigungsprozess nicht gefährdet werden soll. Die Mitgliedstaaten
und Regionen bilden das notwendige Gegengewicht zu Europäisierung
und Globalisierung. Die Unübersichtlichkeit, die Fülle
und die scheinbare Beliebigkeit des Globalen erzeugen bei vielen
das Gefühl der Verunsicherung, des Ausgeliefertseins. Europäisierung
und Globalisierung sind für viele Menschen nur verkraftbar,
wenn ihnen aus der eigenverantwortlich gestalteten Heimat in der
Region im nationalen Rahmen Identität erwächst. Zu der
Landschaft, zu der Natur, zur Umwelt, zu den Mitmenschen und nicht
zuletzt zu den Verantwortlichen der Region besteht eine direkte
und unverzichtbare Bindung. Die Regionen können der Gesellschaft
Stabilität geben. In ihnen sind Wertvorstellungen lebendig
und wird Solidarität praktiziert. Hier entsteht die Kreativität
und Vielfalt, die Europa charakterisiert und über Jahrhunderte
hinweg stark gemacht hat. Die Regionen werden so zum Trumpf Europas
im Wettbewerb der Kulturen.
Der frühere
Kommissionspräsident Jacques Delors erklärte im Jahre
1991 vor dem Bayerischen Landtag: "Uns muss bewusst werden, dass
die europäische Vision nur Wirklichkeit werden kann, wenn sie
die Traditionen und Lebensformen unserer Völker widerspiegelt.
(...) Die Regionen dürfen nicht an der Entfaltung ihrer Möglichkeiten
gehindert werden, denn gerade auf dieser Ebene, wo Demokratie unmittelbar
gelebt wird, kommt der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips
ihre volle Bedeutung zu. (...) Die Beteiligung der Regionen am Aufbau
Europas ist entscheidend für unseren Erfolg."
Wir brauchen
ein modernes Modell für Europa. Ein Modell, das Vielfalt ermöglicht
und fördert, das auf dem Reichtum der verschiedenen Lebensweisen
aufbaut, das aus unserer lebendigen Kultur und unserer Jahrtausende
alten Geschichte heraus erwächst. In diesem Modell spielen
die Regionen eine wesentliche Rolle.
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