Zeitschrift
Europa
Zeitschrift Der Herausgeber Synthesen Verträge/ Gesetze Institutionen / Wahlen Literatur Unsere Partner

Startseite
Europa
Gasp - Verteidigung
Recht
Wirtschaft
Kultur
Eintrag
Streichung


Föderalismus in Deutschland und den USA
Nach den Buchstaben der Verfassungen gilt, was deutsche Beobachter immer wieder veranlasste, den amerikanischen Föderalismus als Gegenmodell zum deutschen zu definieren: Der duale Föderalismus der USA erlaubt mehr Vielfalt und Autonomie als die deutsche Festlegung auf ein System der Politikverflechtung von Bund und Ländern. Unzutreffend wird diese Gegenüberstellung, wenn deren Ergebnisse in kaum abgeschwächter Form auf die heutige Verfassungsrealität übertragen werden. Ansätze zur Konvergenz des amerikanischen und des deutschen Föderalismus ergaben sich vor allem aus den beiden Ländern gemeinsamen Bewältigungsstrategien wirtschaftlicher und sozialer Probleme. © 2001
Prof. Dr. Roland STURM - Professor für Politikwissenschaft an
der Universität Erlangen


Ein Vergleich des amerikanischen und deutschen Föderalismus muss vor allem seinen Vergleichsmassstab deutlich machen. Nach den Buchstaben der Verfassungen gilt, was deutsche Beobachter immer wieder veranlasste, den amerikanischen Föderalismus als Gegenmodell zum deutschen zu definieren: Der duale Föderalismus der USA erlaubt mehr Vielfalt und Autonomie als die deutsche Festlegung auf ein System der Politikverflechtung von Bund und Ländern. Unzutreffend wird diese Gegenüberstellung, wenn deren Ergebnisse in kaum abgeschwächter Form auf die heutige Verfassungsrealität übertragen werden. Unzweifelhaft sind die in den USA entstandenen Verflechtungsbeziehungen zwischen Bundes- und Staatenebene weniger umfassend. Sie bleiben ad hoc- Arrangements und politikfeldorientiert. Dies gibt dem amerikanischen Föderalismus einen weitgehend segmentierten Charakter. Dennoch wohnt diesen Arrangements ein beträchtliches Zentralisierungspotential inne. Ob dieses mobilisiert wird oder nicht hängt entscheidend von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ab. Ausgeschlossen bleibt bei aller Intervention des Bundes in die Kompetenzen der Gliedstaaten die institutionelle Verankerung der Gliedstaaten in der Bundespolitik. Die intergouvernementalen Beziehungen sind hierarchischer Natur. Anders als den Ländern in der Bundesrepublik bleibt den amerikanischen Staaten teilweise die Option, sich selbst von Programmen auszuschliessen. Es gibt aber keine Institution, ähnlich dem Bundesrat, der sie am Willensbildungsprozess in Washington anders als in der Form des Lobbyismus beteiligen könnte.

Ansätze zur Konvergenz des amerikanischen und des deutschen Föderalismus ergaben sich vor allem aus der beiden Ländern gemeinsamen Bewältigungsstrategien wirtschaftlicher und sozialer Probleme. Das Ziel einer wohlfahrtsstaatlichen Entwicklung und einer keynesianischen Wirtschaftspolitik provozierte in den USA vom New Deal bis 1978 den Ausbau der zentralstaatlichen Steuerungskapazitäten. In der Bundesrepublik bereitete diese Zielsetzung den Weg vom kooperativen Föderalismus zur Politikverflechtung. Die neue angebotsorientierte Wirtschaftspolitik der achtziger Jahre verbunden mit der Budgetkrise in beiden Ländern läutete das Ende von "big government" ein und damit auch den Teilrückzug der zentralstaatlichen Ebenen aus der intervenierenden Politik. In den USA, wo die Politikverflechtung eine politische allerdings vom Obersten Gerichtshof legitimierte - Entscheidung war, ist die Rückkehr zu einem stärker dualistischen Föderalismus leichter zu bewerkstelligen als in der Bundesrepublik, die die Politikverflechtung in ihrer Verfassung verankerte. Aber auch die USA sind noch weit entfernt davon, zum Trennsystem der Aufgabenwahrnehmung zwischen Bund und Gliedstaaten von vor 1938 zurückzukehren.

Wurden in den USA die Bundesstaaten mit zunehmendem Einfluss des Bundes finanziell in die Abhängigkeit gedrängt, so waren die Gliedstaaten in der Bundesrepublik Opfer und Täter zugleich. Die Landesregierungen stimmten im Bundesrat den Verflechtungsstrukturen zu, die ihre dezentrale Machtausübung erschwerten. Während in den USA in der Bundespolitik nur die Macht Washingtons wuchs, wuchs in der Bundesrepublik die Macht aller Exekutiven. Zu erklären ist diese Selbstentmachtung der deutschen Länder nur mit einem dem Föderalismus eher fremden Modus der Interessenaggregation, nämlich der Dynamik des Parteienwettbewerbs. Dieser band die Länderexekutiven fast vollständig in den konzeptionellen Umbau des Interventionsstaates ein. In den USA fehlt bis heute ein entsprechend verflochtenes Parteiensystem, das die Initiative zur Ausdehnung des Einflusses des Bundes auch zu einer Sache der Gouverneure der Bundesstaaten hätte machen können.

In den USA kann regionale kulturelle und soziale Vielfalt koexistieren mit einem Bedeutungsverlust des Föderalismus als Verfassungselement. Schon die Nach- New Deal-Ära hatte neben den Zuschüssen an die Staaten auch die Bundesleistungen für Individuen zu einem bedeutenden Faktor entwickelt. Das individuelle Anrechtssystem ist in der amerikanischen Politik und im Bewusstsein der amerikanischen Öffentlichkeit weit wichtiger geworden als das territoriale. Hier gibt es angesichts der Individualisierungstendenzen in der deutschen Gesellschaft unter Umständen viel vom amerikanischen Föderalismus zu lernen.



© Alle Rechte vorbehalten.