Ein Vergleich
des amerikanischen und deutschen Föderalismus muss vor allem
seinen Vergleichsmassstab deutlich machen. Nach den Buchstaben der
Verfassungen gilt, was deutsche Beobachter immer wieder veranlasste,
den amerikanischen Föderalismus als Gegenmodell zum deutschen
zu definieren: Der duale Föderalismus der USA erlaubt mehr
Vielfalt und Autonomie als die deutsche Festlegung auf ein System
der Politikverflechtung von Bund und Ländern. Unzutreffend
wird diese Gegenüberstellung, wenn deren Ergebnisse in kaum
abgeschwächter Form auf die heutige Verfassungsrealität
übertragen werden. Unzweifelhaft sind die in den USA entstandenen
Verflechtungsbeziehungen zwischen Bundes- und Staatenebene weniger
umfassend. Sie bleiben ad hoc- Arrangements und politikfeldorientiert.
Dies gibt dem amerikanischen Föderalismus einen weitgehend
segmentierten Charakter. Dennoch wohnt diesen Arrangements ein beträchtliches
Zentralisierungspotential inne. Ob dieses mobilisiert wird oder
nicht hängt entscheidend von der Rechtsprechung des Obersten
Gerichtshofes ab. Ausgeschlossen bleibt bei aller Intervention des
Bundes in die Kompetenzen der Gliedstaaten die institutionelle Verankerung
der Gliedstaaten in der Bundespolitik. Die intergouvernementalen
Beziehungen sind hierarchischer Natur. Anders als den Ländern
in der Bundesrepublik bleibt den amerikanischen Staaten teilweise
die Option, sich selbst von Programmen auszuschliessen. Es gibt
aber keine Institution, ähnlich dem Bundesrat, der sie am Willensbildungsprozess
in Washington anders als in der Form des Lobbyismus beteiligen könnte.
Ansätze
zur Konvergenz des amerikanischen und des deutschen Föderalismus
ergaben sich vor allem aus der beiden Ländern gemeinsamen Bewältigungsstrategien
wirtschaftlicher und sozialer Probleme. Das Ziel einer wohlfahrtsstaatlichen
Entwicklung und einer keynesianischen Wirtschaftspolitik provozierte
in den USA vom New Deal bis 1978 den Ausbau der zentralstaatlichen
Steuerungskapazitäten. In der Bundesrepublik bereitete diese
Zielsetzung den Weg vom kooperativen Föderalismus zur Politikverflechtung.
Die neue angebotsorientierte Wirtschaftspolitik der achtziger Jahre
verbunden mit der Budgetkrise in beiden Ländern läutete
das Ende von "big government" ein und damit auch den Teilrückzug
der zentralstaatlichen Ebenen aus der intervenierenden Politik.
In den USA, wo die Politikverflechtung eine politische allerdings
vom Obersten Gerichtshof legitimierte - Entscheidung war, ist die
Rückkehr zu einem stärker dualistischen Föderalismus
leichter zu bewerkstelligen als in der Bundesrepublik, die die Politikverflechtung
in ihrer Verfassung verankerte. Aber auch die USA sind noch weit
entfernt davon, zum Trennsystem der Aufgabenwahrnehmung zwischen
Bund und Gliedstaaten von vor 1938 zurückzukehren.
Wurden in den
USA die Bundesstaaten mit zunehmendem Einfluss des Bundes finanziell
in die Abhängigkeit gedrängt, so waren die Gliedstaaten
in der Bundesrepublik Opfer und Täter zugleich. Die Landesregierungen
stimmten im Bundesrat den Verflechtungsstrukturen zu, die ihre dezentrale
Machtausübung erschwerten. Während in den USA in der Bundespolitik
nur die Macht Washingtons wuchs, wuchs in der Bundesrepublik die
Macht aller Exekutiven. Zu erklären ist diese Selbstentmachtung
der deutschen Länder nur mit einem dem Föderalismus eher
fremden Modus der Interessenaggregation, nämlich der Dynamik
des Parteienwettbewerbs. Dieser band die Länderexekutiven fast
vollständig in den konzeptionellen Umbau des Interventionsstaates
ein. In den USA fehlt bis heute ein entsprechend verflochtenes Parteiensystem,
das die Initiative zur Ausdehnung des Einflusses des Bundes auch
zu einer Sache der Gouverneure der Bundesstaaten hätte machen
können.
In den USA
kann regionale kulturelle und soziale Vielfalt koexistieren mit
einem Bedeutungsverlust des Föderalismus als Verfassungselement.
Schon die Nach- New Deal-Ära hatte neben den Zuschüssen
an die Staaten auch die Bundesleistungen für Individuen zu
einem bedeutenden Faktor entwickelt. Das individuelle Anrechtssystem
ist in der amerikanischen Politik und im Bewusstsein der amerikanischen
Öffentlichkeit weit wichtiger geworden als das territoriale.
Hier gibt es angesichts der Individualisierungstendenzen in der
deutschen Gesellschaft unter Umständen viel vom amerikanischen
Föderalismus zu lernen.
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