Seit Tocqueville,
der bereits den unaufhaltsamen Aufstieg der Vereinigten Staaten
vorausgeahnt hatte, ist die Behauptung, dass der amerikanische way
of life uns rund zehn Jahre voraus ist, zu einer Banalität
geworden. Der neue Präsident George W. Bush wäre angesichts
des gerade angebrochenen Jahrhunderts gut beraten, wenn er aus der
Erfahrung seines Amtsvorgängers genau den gegenteiligen Schluss
ziehen würde: Die amerikanische Gesellschaft lebt den Alliierten
der westlichen Welt keineswegs die Zukunft vor, sondern neigt vielmehr
dazu, sich zunehmend dem europäischen Modell anzugleichen.
Der erste Konvergenzfaktor
besteht darin, dass sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in
Europa die Integrationsmechanismen nicht mehr greifen. Auch wenn
sich die Amerikaner schon in den 60er Jahren bewusst geworden sind,
dass der melting pot, auf den sie doch so stolz waren, auf Kosten
der Schwarzen ging, wurde die nationale Einheit dadurch doch nie
wirklich in Mitleidenschaft gezogen. Die Weite des Territoriums
habe nämlich dem Historiker Daniel Boorstin zufolge faktische
Toleranzbedingungen gewährleistet. Außerdem hätten
die Schwarzen keine eigene Sprache gehabt und deswegen die amerikanische
Umgangssprache angenommen. Abgesehen davon trennten zwei Ozeane
die Ursprungsländer der eingewanderten Völker von der
neuen Heimat.
Im Laufe der
letzten Jahrzehnte wurden diese Argumente durch die Einwanderung
der "Latinos" in Frage gestellt, die ihrer Sprache, ihrer Presse
und ihrem Fernsehen verbunden geblieben sind. Erstmals musste auf
dem Internet die Kampagne zu den Präsidentschaftswahlen in
den beiden Sprachen Englisch und Spanisch präsentiert werden.
Gravierender noch ist, dass die Einwanderer aus Lateinamerika sich
in Grenznähe zu ihren Heimatländern angesiedelt haben.
Der zweite
Faktor, der mit der Auflösung des melting pot zu tun hat, besteht
in der damit zusammenhängenden Lockerung des sozialen Zusammenhalts,
was in einer exponentiellen Zunahme der Minderheitenforderungen
seinen Niederschlag gefunden hat. Das politisch Korrekte in den
Vereinigten Staaten, das sich als ein Identitätsanliegen verstehen
lässt, hat hier seinen Ausgangspunkt genommen. Dabei handelt
es sich keinesfalls um ein nur dort beheimatetes Produkt, das nach
Europa exportiert worden wäre. Dieses Phänomen der Intoleranz
ist vielmehr auf dieselbe Ursache zurückzuführen wie die
politische Korrektheit in Europa.
Der dritte
Faktor ergibt sich aus der Suche nach einem Heilmittel für
die Krise des gesellschaftlichen Zusammenhaltes, das sich an dem
europäischen Modell orientiert. Zu beiden Seiten des Atlantiks
wird der Personalausweis als Zeichen der Solidarität gegenüber
den anderen Mitgliedern des Gemeinwesens durch den Sozialversicherungsnachweis
abgelöst. Vor zwei Jahren machten die Sozialausgaben des Welfare
State in den Vereinigten Staaten 15,5% des BIP aus. Rechnet man
noch die obligatorischen Privatversicherungen dazu, liegen sie sogar
bei 24,5% und nähern sich damit der europäischen Sozialbelastung
in Höhe von 28% an. Die Clinton-Regierung hatte einen Versuch
unternommen, den Kongress zu einem umfassenderen Sozialversicherungssystem
zu bewegen, musste allerdings schließlich darauf verzichten.
Es besteht allerdings wenig Zweifel daran, dass auch George Bush
jr. während seiner Amtszeit nolens volens mit der Notwendigkeit
konfrontiert werden wird, dieses Projekt fortzusetzen.
Sowohl in den
Vereinigten Staaten als auch in Europa müssen die Politiker
sich in Zukunft mit den unterschiedlichsten Gebieten auseinander
setzen. Es gibt nicht länger Bereiche, die sich ihrer Zuständigkeit
entzögen. Je stärker die Programme auf eine Nachfragebefriedigung
abzielen, desto mehr Lobbies müssen zufrieden gestellt werden.
Je mehr die öffentliche Sphäre sich in der Zivilgesellschaft
auflöst, desto stärker fügt sich die Staatsmacht
der sich wandelnden öffentlichen Meinung, zu deren blassem
Abbild sie verkommt. Angesichts dessen kann es nicht weiter überraschen,
dass es während der Wahlkämpfe der Kandidaten auf beiden
Kontinenten nicht länger um alternative gesellschaftliche Grundentscheidungen
geht, sondern um Menschen, deren staatsmännische Qualitäten
nicht mehr von ihrer privaten Tugendhaftigkeit unterschieden werden.
Wenn alles politisch wird, verliert Politik ihre Bedeutung.
Genau das hat
sich auch während des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfes
gezeigt. Oft wurde über die Mittelmäßigkeit der
Kandidaten gespottet und über die nahezu vollständige
programmatische Austauschbarkeit, wobei sich Bush pragmatischer
und Al Gore energischer gegeben haben.
Unsere Kandidaten
stehen den amerikanischen allerdings in nichts nach. Während
diese es vorgezogen haben, lieber ihr Image zu pflegen als ihre
Ideen, haben in Frankreich dieselben Gründe Lionel Jospin dazu
veranlasst, sich in Gala abbilden zu lassen und Philippe Séguin
für Illico zu posieren. In beiden Gesellschaften macht sich
dieselbe Logik eines Wohlfahrtsstaates breit, der zunehmend auf
sofortige Bedürfnisbefriedigung und immer mehr Sicherheitsgarantien
aus ist.
Der letzte
Konvergenzfaktor besteht in einer exponentiellen richterlichen Machtzunahme.
Der Oberste Gerichtshof hätte, wie es heißt, liebend
gerne darauf verzichtet, bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen
ein Urteil zu fällen. Nicht anders als in Europa ist die richterliche
Machtübernahme nicht die Folge eines von den Richtern ausgebrüteten
Staatsstreiches. Natürlich und fast mechanisch erstreckt sie
sich vielmehr auf die Bereiche, die von der politischen Macht sich
selbst überlassen worden waren.
Übersetzung
Forum (MT)
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