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Europa und die Vereinigten Staaten: eine gemeinsame Zukunft
Wenn die Europäer einen europäischen, konföderal organisierten Staat anstreben, wobei die Betonung auf dem Wort "Staat" liegt, dann stellt sich die Frage, welche Reaktionen ein solches Streben in Übersee auslösen würde. Das geeinte Europa, die Union Europas war für die Vereinigten Staaten von offensichtlichem Nutzen, solange sie dem ständigen Konflikt, der Rivalität zwischen den beiden alleinigen Supermächten gegen die Sowjetunion standhalten mussten. Der zumindest relative Untergang dieses ähnlich einflussreichen Gegners (und gleichzeitigen Partners) lässt die Aussicht einer Europäischen Union eher als unangenehm erscheinen denn als positiv in den Augen der Entscheidungsträger in Washington. © 2001
Joseph ROVAN - Professor em. an der Sorbonne -
Präsident des BILD


Das vereinte Europa ist immer noch weit weniger geeint als die Vereinigten Staaten von Amerika. Das hat natürlich damit zu tun, dass die USA sich vor mehr als 200 Jahren zusammengeschlossen haben und dass Europa mit seiner Einigung erst vor knapp einem halben Jahrhundert begonnen hat. Vor allem aber haben die britischen Kolonien, die sich zusammengeschlossen haben, um sich von Großbritannien zu emanzipieren, und die gegen dieses Land einen langen und blutigen Krieg geführt haben, von Anfang an ein Einigungsniveau erreicht, das einem Staat gleicht, auch wenn der Name eine Pluralform aufweist. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind ein Staat, während die Mitgliedsländer der Europäischen Union immer noch keinen Staat bilden. Die Frage ist, ob und wann ihnen die Staatenbildung gelingen wird. Zuvor gilt es jedoch noch die Frage zu beantworten, ob sie es überhaupt anstreben, ob sie einen europäischen Staat, eine europäische Macht, eine "Weltmacht Europa" überhaupt bilden wollen. Und wenn darin nicht ihr Ziel besteht bzw. noch nicht oder nicht eindeutig: Wird es dann trotzdem zwangsläufig dazu kommen, weil ihre Stimme sonst international nicht mehr ins Gewicht fällt? Darin besteht unser eigentliches Problem. In Paris und London (deutlich weniger in Berlin und in Rom) wird immer noch eine Politik gemacht und regiert, als ob Frankreich und Großbritannien unabhängige Staaten, souveräne Nationen und Großmächte wären. Nur die großen Staaten sind aber wirklich souverän. Die anderen - kleinen oder mittleren - besitzen in dem Maße eine sporadische Unabhängigkeit, wie das Spiel der wirklichen Großmächte ihnen eine gewisse Autonomie und die Möglichkeit lässt, solange nach ihren eigenen Gesetzen zu leben, wie der Handlungsspielraum einer, mehrerer oder - da sie sich wechselseitig bedingen - schlimmstenfalls sogar all dieser wirklichen Großmächte nicht nachhaltig beeinträchtigt wird. Eine Initiative oder auch nur ein Projekt einer der mittleren Mächte können einer oder mehreren Großmächten genehm sein, und mehrere oder auch alle können ein Interesse daran haben, dass die Handlungskapazitäten bzw. Schädigungsmöglichkeiten einer oder mehrerer mittlerer Mächte sich wechselseitig neutralisieren. Nehmen wir das Beispiel Naher Osten: Frankreich und England spielen dort keine autonome Rolle mehr, der verbliebene eventuelle oder tatsächliche Einfluss, den jedes der beiden Länder dort bewahrt hat, kann vielleicht noch von Bedeutung zugunsten oder zuungunsten einer der wirklichen Großmächte sein, wie den USA, Russland, China, Indien (wobei letztere in dem vorliegenden Fall (noch) nicht wirklich involviert sind). Selbst in den Regionen, wo die ehemals großen Nationen noch relativ stark präsent sind, wie z.B. Frankreich in Nordafrika, schrumpft diese Restposition allerdings schnell und kontinuierlich. In Nordafrika diktieren die USA zunehmend allein die Spielregeln der Macht, und Frankreich wird sich dort nur dann behaupten können, wenn es sich auf die amerikanische Position, mit einer leicht persönlichen Note, einlässt.

Wenn die Europäer an dieser Situation wirklich etwas ändern wollten (aber wollen sie das denn auch oder würden sie es gemeinsam wollen?), müssten sie das gegenwärtige Einigungsstadium mit nebeneinander bestehenden Staaten, die einige ihre Handlungsfelder und manche Kapazitäten vergemeinschaftet haben, in eine wirkliche staatliche Struktur verwandeln, wie es in Amerika recht schnell geschehen ist. Direkt nach dem Ende des Krieges mit England wurden die USA zu einem Staat auf der Grundlage einer Reihe von wesentlichen Kompetenzen, was trotz Euro und beträchtlicher Befugnisse, die die Brüsseler Institutionen besitzen, für Europa (noch) nicht der Fall ist. Die Möglichkeit eines monistischen politischen Lebens ist durchaus realistisch, aber diese Möglichkeit beinhaltet noch kein föderales politisches Leben, das in Europa noch fast gar nicht existent ist.

Wenn die Europäer einen europäischen konföderal organisierten Staat anstreben, wobei die Betonung auf dem Wort "Staat" liegt, dann stellt sich die Frage, welche Reaktionen ein solches Streben jenseits des Atlantiks auslösen würde. Das geeinte Europa, die Union Europas war für die Vereinigten Staaten von offensichtlichem Nutzen, solange sie den ständigen Konflikts, die Rivalität zwischen den beiden alleinigen Supermächten gegen und mit der Sowjetunion unterstützen mussten. Der zumindest relative Untergang dieses ähnlich einflussreichen Gegners und Partners lässt die Aussicht einer Europäischen Union eher als unangenehm erscheinen denn als positiv in den Augen der Entscheidungsträger in Washington. Wir wissen allerdings, dass der - im übrigen wiederum relative - Machtverlust Russlands nicht von Dauer sein wird und dass unterdessen China und Indien immer schneller in den Rang einer Weltmacht aufrücken werden. In dem System der führenden vier Weltmächte wird die Existenz einer fünften Großmacht als grundlegender Partner der Vereinigten Staaten von Amerika ein neues Gewicht erhalten, für Amerika einen neuen, positiven Einfluss haben. Diese Zukunft ist bereits im Begriff, Gegenwart zu werden. Wenn die Europäer es wollen, wird deswegen auch Europa, ein geeinter Staat, Europa als Weltmacht auf keine systematisch feindselige Haltung Amerikas stoßen. Ganz im Gegenteil.

Übersetzung Forum (MT)


Veröffentlichungen

- "Mémoire d'un Français qui se souvient d'avoir été Allemand" - Ed. Seuil, 1999.
- "Bismarck, l'Allemagne, et l'Europe unie - 1898 - 1998 - 2098" - Ed. Odile Jacob, oct. 1998.
- "L'histoire de l'Allemagne des origines à nos jours" - Ed. du Seuil, 1994.
- "Citoyens d'Europe" - Ed. Robert Laffont, 1992.
- "Le Mur et le Golfe" - Ed. de Fallois, 1991.
- "Les comptes de Dachau" - Ed. Julliard 1987, rééd. le Seuil 1993.



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