Konflikte
und Ziele
1. Die
anstehende Vergrösserung der EU um sechs bzw. elf weitere Staaten
ist in ihrem Gewicht mit den bisherigen Erweiterungen - 1973 Dänemark,
Grossbritannien, Irland, 1981 Griechenland, 1986 Spanien, Portugal
und 1995 Finnland, Österreich und Schweden - kaum vergleichbar.
Für die Beitrittskandidaten auf der einen Seite handelt es
sich um eine säkulare Weichenstellung; in Bezug auf die MOE-Staaten
hat man treffend von deren "Rückkehr nach Europa" gesprochen.
Die gegenwärtige Fünfzehnergemeinschaft auf der anderen
Seite wird sich am Ende des Prozesses, ob sie das nun will oder
nicht, qualitativ verändert haben. Es ist keine Übertreibung,
wenn man diese Erweiterung als Schicksalsfrage für den Fortgang
der europäischen Integration einstuft.
2. Von
der Ausnahme Griechenlands abgesehen, einer wenig geglückten
Ausnahme, hat sich in der Vergangenheit die Frage der Beitrittsfähigkeit
neu aufzunehmender Länder nicht gestellt. Bei den MOE-Staaten,
in vierzig Jahren kommunistischer Herrschaft mehr oder weniger ruiniert,
wird dies zur Schlüsselvoraussetzung eines Beitritts. Die auf
einer Tagung der Staats- und Regierungschefs der EU am 21. und 22.
Juni 1993 in Kopenhagen aufgestellten Kriterien betonen somit auch
zu Recht folgende Voraussetzungen: institutionelle Stabilität
der demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung, eine funktionsfähige
Marktwirtschaft, Übernahme der Verpflichtungen und Zielsetzungen
der EU.
Um eine erste
Vorstellung von den Grössenordnungen zu geben: Die sechs Länder,
mit denen sofort konkrete Beitrittsverhandlungen aufgenommen werden,
werden innerhalb der EU zu einem Bevölkerungszuwachs von 17%
führen. Das gemeinsame Bruttosozialprodukt wird sich nur um
3% erhöhen. Stellt man auf die insgesamt elf Kandidaten ab,
so lauten die entsprechenden Zahlen 25% und 5%. Mit Ausnahme Zyperns
werden sämtliche Beitrittskandidaten zu den sogenannten Nettoempfängern
innerhalb der EU gehören. Auf Seiten der aufnehmenden Fünfzehnergemeinschaft
kann es ohne entsprechende Anpassungsmassnahmen leicht zu Überforderungen
kommen. Dies gilt namentlich für die ausgabenwirksame Agrarpolitik
- sie umfasst etwa die Hälfte des EU-Haushaltes - und für
die Strukturpolitik in ihren verschiedenen Ausprägungen.
3. Selbst
Grundfreiheiten der EU werden zum Problem. Dies gilt namentlich
für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Angesichts einer
weitgehenden Homogenität in der bisherigen Fünfzehnergemeinschaft
war es hier nicht zu substantiellen Wanderungsbewegungen gekommen.
Das bestehende Wohlstandsgefälle nach Osten wird dagegen eine
ganz andere Perspektive eröffnen. Migrationserfahrungen im
Verhältnis Deutschland-Polen aus der Zeit um die Jahrhundertwende
weisen in eine gleiche Richtung. Der Vertrag von Amsterdam hat überdies
die Schengener Zusammenarbeit in den "acquis communautaire" übernommen.
Bei einer vollzogenen Mitgliedschaft werden die MOE-Staaten den
Aussenschutz der EU-Grenzen garantieren müssen. Welche Probleme
hier entstehen können, wird am Beispiel des EWG-Gründungsmitgliedes
Italien deutlich. Es gewährte Wirtschaftsflüchtlingen
bislang eine Frist von vierzehn Tagen zum Verlassen des Landes.
Faktisch bedeutete dies: Sie wurden in andere EU-Mitgliedstaaten,
vornehmlich nach Deutschland, durchgewunken. Obendrein liess sich
solcher Praxis ein humanitäres Mäntelchen umhängen.
Beide Aspekte, die Freizügigkeit von Arbeitnehmern und die
Sicherheit der EU-Aussengrenzen, werden für eine Akzeptanz
der Osterweiterung in den Bevölkerungen der Mitgliedstaaten
ausschlaggebende Bedeutung haben.
4. Die
Institutionen der EU waren zugeschnitten auf die ursprüngliche
Sechsergemeinschaft. Strukturbestimmend waren weniger eine hierarchische
demokratische Legitimation nach dem Muster klassischer Nationalstaaten
als eine Balance zwischen Gemeinschaftsinteresse und Interessen
von Mitgliedsländern - hierin wurzelt die besondere Rolle der
EU-Kommission - und ein Ausgleich zwischen den grösseren und
den kleineren Mitgliedstaaten in einem ebenso komplizierten wie
differenzierten System von Stimmengewichtungen. Nach einer Aufnahme
von elf Kandidaten wird aus der Fünfzehnergemeinschaft eine
Gemeinschaft von sechsundzwanzig Mitgliedstaaten. Die Anzahl der
Menschen wird nahezu auf eine halbe Milliarde anwachsen. Arbeitsfähigkeit
der Organe und Handlungsfähigkeit der EU werden herausgefordert.
Wer einer "Vertiefung" der EU das Wort redet, etwa echte EU-Zuständigkeiten
in den Bereichen Aussen- und Sicherheitspolitik begründen will,
wird leicht einen Konflikt zwischen solcher Vertiefung einerseits
und Erweiterung der EU andererseits annehmen wollen. Ja, es stellt
sich die Verfassungsfrage der EU in dem Sinne, worauf der europäische
Integrationsprozess realistisch zusteuern soll. Stabilisiert die
Osterweiterung unausweichlich ein Konzept eines Europas der Vaterländer
oder der Regierungen, weitgehend nach britischen und auch französischen
Vorstellungen? Ist sie nicht mindestens ein Schritt ins völlig
Ungewisse?
5. Wohl
zu bedenken sind schliesslich die Auswirkungen der Osterweiterung
auf den Zusammenhalt der Bevölkerungen, auf eine grenzüberschreitende
innere Verbundenheit der Menschen, eine Solidarität, welche
für Minderheiten eine Akzeptanz von Mehrheitsentscheidungen
überhaupt erst erträglich macht. Von alledem kann schon
in der gegenwärtigen Fünfzehnergemeinschaft nicht die
Rede sein. Dem entspricht es, dass es eine europäische öffentliche
Meinung, welche politische Entscheidungen begleitet und kontrolliert,
sie der "Wahrheit" soweit als möglich annähert (J. St.
Mill), auch nicht in Ansätzen gibt. Die europäischen Verträge
haben die kulturell-mentale Dimension des Integrationsprozesses,
vielleicht unvermeidlicherweise, erst völlig und heute immer
noch weitgehend ausgeblendet. Ein Anwachsen der EU um elf weitere
Mitgliedstaaten würde ein entsprechendes Bemühen vermutlich
erschweren, wenn nicht sinnlos machen. Die Sprachenfrage wirft ein
Schlaglicht: In der Fünfzehnergemeinschaft werden elf verschiedene
Sprachen gesprochen; in der Gemeinschaft der Sechsundzwanzig werden
es zweiundzwanzig sein. Ernest Renan hat Europa einmal dahin gekennzeichnet,
dass es "geboren wurde aus dem griechischen Wunder, gross wurde
mit der griechisch-lateinischen Kultur, eine Renaissance erlebte
und christlich ist." Aus moderner Sicht würde man wohl noch
ergänzen um das Vermächtnis der Aufklärung und um
das darin wurzelnde Konzept einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung.
Bei einer Vollmitgliedschaft zum Beispiel der Türkei, die gegenwärtig
nicht ansteht, aber im Sinne einer diskriminierungsfreien Anwendung
der Kopenhagener Kriterien ins Auge gefasst ist, wird man von Überlegungen,
die europäische Integration auf ein solches historisch-kulturelles
Fundament zu gründen, Abschied nehmen müssen.
6. Ein
übereinstimmendes Konzept hinsichtlich einer Fortentwicklung
der EU gibt es auf Gemeinschaftsebene nicht. Das Bemühen in
der Regierungskonferenz von Amsterdam, institutionelle Anpassungen
der EU vor Beginn des Erweiterungsprozesses zu erreichen, ist im
wesentlichen gescheitert. Mit Ablauf des Jahres 1999 steht ferner
eine Prüfung der Finanzverfassung der EU an, nämlich eine
Fortentwicklung des sogenannten Eigenmittelbeschlusses des Rates
der EU. Die Bundesrepublik Deutschland bemüht sich in diesem
Zusammenhang, die ausgeprägte Nettozahlerrolle des Landes zurückzuführen.
Hinzu treten die Herausforderungen, welche sich mit der Verwirklichung
der Europäischen Währungsunion verbinden. Angesichts dieser
Umstände mag es erstaunen, dass der Europäische Rat und
die von ihm repräsentierten politischen Kräfte sich auf
dem Luxemburger Gipfel überhaupt auf konkrete Beitrittsverhandlungen
in Richtung Osten haben verständigen können. Es hängt
dies mit dominanten Interessenlagen der Beteiligten zusammen. Einige
bilden Konstanten innerhalb des europäischen Integrationsprozesses
insgesamt. Andere sind stärker länderspezifisch definiert.
Konstante
Interessenlagen
7. Zu
den zentralen Konstanten gehört das sogenannte Friedensargument.
Hiermit ist die Überlegung bezeichnet, eine Integration von
Nationalstaaten schliesse das Risiko kriegerischer Auseinandersetzungen
zwischen ihnen endgültig aus. Es lässt sich ferner in
der Spielart verstehen, es gelte eine Rückkehr zu den Rivalitäten
der Nationalstaaten, zu Gleichgewichtspolitik und Allianzbildung
nach dem Muster des 19. Jahrhunderts zu verhindern. Integration
mit ihrer Idee der "Kontrolle aller durch alle" ist demgegenüber
das vorzugswürdige Paradigma. Bei einer Erweiterung der EU
in Richtung Osten wird dieses Friedensargument besonders greifbar:
Es finden sich dort nahezu durchgängig Minderheitenprobleme
und entsprechende Konfliktpotentiale. So leben zum Beispiel mehr
Ungarn in den benachbarten Staaten, als dies für Deutschland
im Verhältnis zwischen West- und Ostdeutschland während
der staatlichen Trennung zutraf. Was die Pariser Vorortverträge
von 1919 nicht bewältigten, in den fünfundvierzig Jahren
nach dem Zweiten Weltkrieg unter der sowjetischen Diktatur ruhiggestellt
war, erhielte innerhalb einer erweiterten EU die Chance zu einem
ebenso friedlichen wie dauerhaften Ausgleich.
8. Im
Vordergrund der öffentlichen Wahrnehmung steht eine Überlegung
ökonomischer Effizienz. Man kann vom Binnenmarktargument sprechen.
Es ist unstreitig, dass die Errichtung eines Binnenmarktes in dem
Sinne, Hindernisse für die freie Bewegung von Gütern und
Produktionsfaktoren zu beseitigen, handelsschaffende und in diesem
Ausmass wohlfahrtssteigernde Wirkungen hat. Im Kern verbessert sich
die Arbeitsteilung. Doch sind drei Warntafeln zu errichten:
- In Richtung
Osten kann dies nur eine langfristige Perspektive sein. Der westeuropäische
Steuerzahler wird zunächst Milliardentransfers aufzubringen
haben.
- Vorausgesetzt
ist weiter, dass bei einer Osterweiterung der EU vorhandene Defekte,
wie z.B. die europäische Agrarpolitik, nicht einfach auf die
Beitrittsstaaten ausgedehnt werden und in ihrem Umfang dann auch
noch zunehmen.
- Der Strukturwandel
in einzelnen Branchen wird sich bei einer Öffnung der Märkte
nach Osten weiter verschärfen. Schutzmassnahmen, wie sie in
den gegenwärtigen sogenannten Europaverträgen mit den
Beitrittskandidaten noch vorhanden sind, werden zu irgendeinem Zeitpunkt
entfallen. Auch die Märkte für abhängige Arbeit,
namentlich in Deutschland, werden betroffen sein.
9. In
den letzten Jahren hat ein imperiales Argument Konturen erlangt:
Europa solle seine Kräfte bündeln, um die globalen Herausforderungen
an der Schwelle zum 21. Jahrhundert bestehen zu können. Es
müsse "den Willen haben, eine Weltmacht zu werden" (François-Poncet).
Die Kommission spricht in ihrer Agenda 2000 davon, die wirtschaftliche
und geopolitische Lage verleihe der EU genügend Gewicht, um
in einer multipolaren Welt eine wichtige Rolle zu spielen. Sicherheits-,
aussenhandels- und umweltpolitische Komponenten stehen dabei im
Vordergrund. Es mag offenbleiben, wie realistisch solche Konzepte
sind. Bezüglich der Osterweiterung sind zwei Vorbehalte mitzudenken:
- Dies kann
wiederum allenfalls auf lange Sicht gültig sein.
- Vorausgesetzt
ist dabei eine Lösung der institutionellen Probleme innerhalb
der EU.
Sonst könnte
die Osterweiterung die Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft
zusätzlich beeinträchtigen.
10. Eine
Konstante in der gesamten Nachkriegsentwicklung ist schliesslich
ein Bemühen, Deutschland über die europäische Integration
einzubinden, es in "eine Art Käfig zu nehmen" (A. Grosser).
Man kann vom Deutschen-Argument sprechen. Im Zusammenhang der Osterweiterung
tritt es in der Spielart auf, Deutschland als das wahrscheinlich
einzige Land, welches dazu in der Lage wäre, an einer eigenständigen
Osteuropa-Politik zu hindern. Dies muss deutschen Interessen nicht
unbedingt widersprechen, insbesondere nicht, wenn potentielle Abhängigkeiten
des Ostens nicht über Deutschland, sondern über die EU
geführt werden. Nur ein flagellantischer Übereifer sollte
auf deutscher Seite vermieden werden. Dies müsste die Selbstachtung
des Landes in Frage stellen.
Länderspezifische
Aspekte
11. Die
deutsche Politik, die seit Jahren auf eine Osterweiterung der EU
gedrängt hat, besitzt ein spezifisches Interesse, die europäische
Armutsgrenze, die gegenwärtig an der deutsch-polnischen Grenze
liegt, möglichst weit nach Osten zu verschieben. Es ist ähnlich
wie beim Konzept der sicheren Drittstaaten innerhalb der Asylpolitik:
Die Vorstellung, auch im Osten von einem Kranz prosperierender,
mit Deutschland institutionell verbundener Staaten umgeben zu sein,
wird als eine säkulare Chance innerhalb der wechselvollen deutschen
Geschichte verstanden. Überlegungen, die man vielleicht als
nostalgisch-romantisierend bewerten mag, scheinen hinzuzutreten:
Mit dem ersten Weltkrieg, der Urkatastrophe Europas in diesem Jahrhundert
(G. F. Kennan), wurden die Weichen in eine falsche Richtung gestellt.
Dies führte zu jenen entsetzlichen Verwerfungen, die das 20.
Jahrhundert in Europa prägten. Diese lassen sich nicht rückgängig
machen; doch gelte es heute, an dem damals versäumten Punkt
weiterzumachen, nämlich im Sinne einer zweiten Chance ein friedlich
geeintes Gesamteuropa zu verwirklichen.
Gegenläufig
sind finanzielle Interessen des Landes. Deutschland, ohnehin mit
Abstand der grösste Nettozahler innerhalb der EU, riskiert,
dass ihm weitgehend eine mit der Osterweiterung verknüpfte
Zahllast zugeschoben wird. Dies droht umso mehr, als das Land sich
gleichzeitig gegen eine durchgreifende Reformierung der europäischen
Agrarpolitik als des dominanten Ausgabenbereichs der Gemeinschaft
sperrt.
12. Die
französische Politik setzte ursprünglich auf ein Konzept
der konzentrischen Kreise: Das überkommene Kerneuropa als inneren
Ring, umgeben von den Staaten des EWR, und schliesslich von einem
dritten Ring assoziierter Länder. Das Konzept zielte in der
Substanz darauf, Beitrittsaspiranten möglichst fernzuhalten.
Es fand schon innerhalb der EU keine Unterstützung, nicht zuletzt
wegen des damit verbundenen Hegemonialanspruches der französischen
Politik. Ein solcher hätte sich im kleinen Kreis des Kerneuropas
eher verwirklichen lassen als innerhalb einer Vielzahl von EU-Mitgliedstaaten.
Unklar ist, in welchem Ausmass der Wechsel von der sozialistischen
Präsidentschaft Mitterrand auf Chirac mit möglicherweise
altgaullistischen Vorstellungen ("Europa vom Atlantik bis zum Ural")
zur Richtungsänderung der französischen Politik beigetragen
hat. Gelegentlich wird die Ernsthaftigkeit dieser Änderung
in Frage gestellt. Ein Indiz für eine unverändert auf
Beitrittsverzögerung zielende Politik soll etwa eine jüngste
Initiative u.a. Frankreichs sein, wonach vor Beginn der Osterweiterung
erst eine "substantielle Reform der EU-Institutionen" erfolgen müsse.
Doch kann dies lediglich Ausdruck einer schlichten Einsicht sein:
Clubregeln lassen sich leichter vor einem Eintritt neuer Mitglieder
ändern als danach. Unstreitig ist dagegen ein Interesse der
französischen Politik, Deutschland vor einer eigenständigen
Osteuropa-Politik zu "bewahren".
13. Grossbritannien,
unabhängig davon, ob von den Konservativen oder von Labour
regiert, hat eine Osterweiterung immer energisch befürwortet.
Die Vorstellung ist: Dies nähert die EU unausweichlich dem
Konzept einer "gehobenen Freihandelszone" an, diejenige Konzeption,
die man jenseits des Kanals für realistisch und wünschenswert
zugleich hält. Den drei nordeuropäischen EU-Mitgliedstaaten
liegt besonders an einer möglichst raschen Aufnahme nicht nur
Estlands, sondern auch der anderen baltischen Staaten. Sie sehen
darin eine aus ihrer Sicht wünschenswerte Nordverschiebung
der EU unter Betonung des Integrationsraums Ostsee. Auf griechisches
Drängen geht die Zusage einer raschen Aufnahme von Beitrittsverhandlungen
mit Zypern zurück. Man verspricht sich dort eine Überwindung
der gegenwärtigen Teilung der Insel, wenngleich niemand bis
heute ein realistisches Konzept hat benennen können. Spanien
und Portugal bestehen darauf, dass eine Osterweiterung der EU nicht
zu Lasten der Südstaaten gehe. Mindestens sei eine klare Haushaltsordnung
mit dauerhaft geregelten Finanzhilfen zugunsten der gegenwärtig
schwächeren Länder geboten (Griechenland, Portugal, Spanien).
Spanien selbst ist gegenwärtig der weitaus grösste Nettoempfänger
von EU-Mitteln. 1997 waren es rund 12 Milliarden DM.
14. Russland
als der dominante Nachfolgestaat der früheren Sowjetunion ist
zwar ein entschiedener Gegner der Osterweiterung der NATO, hat aber
keine Bedenken gegen eine Ausdehnung der EU nach Osten. Das militärische
Potential der EU, das gegenwärtig ohnehin kein gemeinschaftliches
ist, wird von Russland offenbar sehr viel weniger ernst genommen
als das US-amerikanische. Es hängt dies weiter mit einer Neuorientierung
der russischen Aussenpolitik zusammen. Die Optionen eines Juniorpartners
der USA oder eines selbständigen Anziehungszentrums für
Dritte ausserhalb des Westens wurden verworfen zugunsten einer stärkeren
Annäherung an Europa bei gleichzeitiger Selbständigkeit
auf anderen Feldern (China, Südasien, Naher Osten). Man spricht
von der Primakow-Doktrin. Auf dieser Linie ist das im Juni 1994
unterzeichnete Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen
der EU und Russland im Dezember 1997 in Kraft getreten. Nach Auffassung
des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl bietet es die Perspektive,
dass Russland später den Status eines assoziierten Teilnehmers
der EU erreichen könne.
15. Die
USA unterstützen eine Osterweiterung der EU mit allem Nachdruck.
Obwohl gegenwärtig die einzige reale Weltmacht, ist das Land
doch auf Verbündete angewiesen, sei es aus Gründen der
eigenen Innenpolitik, sei es aus Gründen der Aussenpolitik.
Bei letzterem ist nur an die zahlreichen internationalen Plattformen
nach Art der UNO zu erinnern. Aus dieser Sicht ist ein stabiles
Europa sozusagen der natürliche Partner jenseits des Atlantiks.
Auch Aspekte eines burden sharing spielen dabei eine wichtige Rolle.
Das Drängen der amerikanischen Politik geht in die Richtung,
dass sich die EU weniger kulturell-historisch als geopolitisch bzw.
machtpolitisch definiert. Dies macht die USA zu einem entschiedenen
Befürworter einer Vollmitgliedschaft der Türkei in der
EU. Man wird auf dieser Linie mit der Möglichkeit rechnen müssen,
dass eines Tages auch ein EU-Beitritt des Staates Israel zur politischen
Option wird.
16. Insgesamt
haben die hier skizzierten Interessenlagen in ihrer Summe dazu geführt,
dass die Osterweiterung der EU konkret auf die politische Agenda
des Jahres 1998 genommen wurde. Überraschend ist dabei am ehesten:
Es geht nur noch um die politische Option der Vollmitgliedschaft.
Über andere Integrationskonzepte, eine Osterweiterung des Europäischen
Wirtschaftsraums (EWR), die Gründung einer Freihandelszone
zwischen der EU einerseits und den Beitrittsaspiranten andererseits,
sogenannte EFTA-Lösung, und eine blosse Anbindung mittel- und
osteuropäischer Länder durch Assoziierungsabkommen, ist
die Entwicklung, wie es scheint, hinweggegangen. Schwer prognostizierbar
ist die Dauer der Verhandlungsprozesse. Bei einigen, weniger problematischen
Fällen ist von einem Abschluss der Verhandlungen im Jahre 2002
die Rede. Was eine Erweiterung um insgesamt 11 Mitgliedstaaten anbelangt,
erscheint frühestens das Jahr 2010 als realistisch. Das schliesst
nicht aus, dass Übergangsfristen in Einzelbereichen noch länger
dauern können.
Veröffentlichungen
(unter anderem…)
- Kronberger Kreis, Osterweiterung der Europäischen Union,
Bad Homburg 1998.
- Einflüsse der europäischen auf die deutsche Wirtschaftsordnung,
Jena 1998
- Mit Marktwirtschaft aus der Krise. Landsberg 1997.
- Verordnete Verschwendung ? Für eine neue Agrarordnung (Kronberger
Kreis), Stuttgart 1985.
- Mehr Mut zum Markt: Handlungsaufforderungen, Stuttgart
1984.
- Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, Köln 1.Auflage 1983.
- Das Wirtschaftsrecht der Banken, Frankfurt 1972.
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