Im Jahre
1999 sind im Bereich der Sicherheit und der Verteidigung spektakuläre
Fortschritte im europäischen Einigungsprozess erzielt worden. In
politischer und institutioneller Hinsicht bestehen diese Fortschritte
nicht allein in der Ernennung des "Mr. GASP", eine im Amsterdamer
Vertrag vorgesehene Massnahme, sondern vor allem auch darin, dass
zur Gestaltung der GASP und zum militärischen Krisenmanagement eigene
Organe ins Leben gerufen worden sind: ein politisches Sicherheitskomitee,
auf der Ebene der je verantwortlichen Leiter der Generalstäbe ein
Militärkomitee, das zu gegebener Zeit um einen europäischen Generalstab
ergänzt werden wird, sowie die Treffen der Verteidigungsminister
unter der Ägide des Rates "Allgemeine Angelegenheiten". In den Jahren
2000 und 2001 dürfte sich daran die Übernahme von Planungs- und
Operationseinheiten der WEU - das Satellitenzentrum in Torrejón,
die Planungszelle und das Institut für Sicherheitsstudien - durch
die Europäische Union anschliessen. Dies bedeutet, dass die Übertragung
des Verteidigungsdossiers auf die Union, das früher nicht in ihren
Zuständigkeitsbereich fiel, bekräftigt wird. Hinsichtlich der militärischen
Kapazitäten schlagen sich diese Fortschritte in der Entscheidung
der Fünfzehnergemeinschaft nieder, bis zum Jahre 2003 ein - auch
über längere Zeit - einsatzfähiges Armeekorps von 60.000 Soldaten
einzurichten, d.h. eine Reserve von insgesamt 150.000 Soldaten.
All diese Massnahmen werden die europäischen Kollektivkapazitäten
deutlich erhöhen, um den sogenannten "Petersberger Missionen" zu
entsprechen, wie sie von dem Amsterdamer Vertrag festgelegt wurden
und die sowohl in den sogenannten friedenschaffenden Operationen
als auch in traditionellen friedenerhaltenden Einsätzen bestehen.
Dabei muss allerdings festgestellt werden, dass die deutsch-französische
Partnerschaft bei dieser bedeutenden Weiterentwicklung nicht die
treibende Kraft gewesen ist, wie noch in den anderen Phasen des
europäischen Integrationsprozesses. Die eigentliche Zugkraft ging
von der französisch-britischen Partnerschaft aus, vor allem durch
die Erklärung von Saint-Malo im Dezember 1998, mit der der Weg zu
den Entscheidungen der fünfzehn Mitgliedstaaten im darauf folgenden
Jahr auf dem Europäischen Rat in Köln und Helsinki geebnet wurde.
Mehrere Erklärungen lassen sich hierfür anführen:
- Das Vereinigte Königreich nimmt eine Schlüsselstellung ein, gerade
weil es bis Herbst 1998 jede Beteiligung der Europäischen Union
an Verteidigungsfragen ablehnte. Die Briten hatten es vorgezogen,
die WEU in den Mittelpunkt eines europäischen Gesamtgefüges zu rücken,
weil diese Organisation ganz offensichtlich nicht dazu in der Lage
war, ein ehrgeiziges Projekt durchzuführen. Londons verteidigungspolitische
"Bekehrung" zur Europäischen Union war ein entscheidender Vorgang,
unabhängig davon, welche Motive dem zugrunde gelegen haben mögen.
Der Wunsch, ein Hauptakteur in Europa zu sein, auch wenn es London
unmöglich ist, in absehbarer Zeit sich dem Euro-Raum anzuschliessen,
mag dabei durchaus eines der Motive sein.
- Frankreich und das Vereinigte Königreich haben in Verteidigungsfragen
eine Geschichte, eine Grundhaltung und eine Doktrin, die wesentlich
zum Entstehen einer Partnerschaft auf diesem Gebiet beigetragen
haben, während Deutschland erst Mitte der 90er Jahre ausserhalb
seines Einflussbereiches tätig werden konnte. Die in Bosnien in
den Jahren 1992 bis 1995 gemeinsam gemachten Erfahrungen sowie der
erfolgreiche Militäreinsatz von Paris und London zur Öffnung der
Strasse nach Sarajevo im Sommer 1995 haben die in Frankreich und
England politisch und militärisch Verantwortlichen zusammengeschweisst.
- Die deutsch-französische Partnerschaft hat dauerhaft unter der
Vertrauenskrise und den Missverständnissen gelitten, die nach der
Ankündigung der französischen Militärreformen im Februar 1996 eingetreten
sind. Diese Reformen waren wünschenswert, sind aber in Deutschland
von den verantwortlichen Stellen in Politik und Armee ausgesprochen
schlecht aufgenommen worden. Die deutsch-französische Abstimmung
war einerseits natürlich unzureichend. Darüber hinaus brachten die
inhaltlichen Entscheidungen (Abschaffung der Wehrpflicht, Vorrang
für die Machtprojektion, Verringerung der Aufträge zu gemeinsamen
Militärprogrammen) Deutschland in Verlegenheit, das damals von der
Notwendigkeit eines Aggiornamento in der Verteidigungspolitik weniger
überzeugt war als heute.
Ausnahmsweise einmal war also die britisch-französische Partnerschaft
für die europäische Integrationsbewegung tonangebend. Das bedeutet
allerdings nicht, dass Frankreich und Deutschland im Jahre 1999
bei diesen Fragen nicht einvernehmlich zusammengearbeitet hätten:
de facto hat Deutschland während seiner Präsidentschaft in der ersten
Jahreshälfte 1999 eng mit Paris kooperiert.
Die Frage ist nunmehr, ob die deutsch-französische Partnerschaft
in europäischen Verteidigungsfragen eine zentrale Rolle übernehmen
kann, was umso wünschenswerter wäre, als das Vereinigte Königreich
auch weiterhin in seinen europäischen Unternehmungen durch innenpolitische
Schwierigkeiten behindert werden wird. Ein erstes positives Indiz
lässt sich im Militärindustriesektor in der angekündigten Gründung
einer grossen europäischen Gesellschaft unter der provisorischen
Bezeichnung EADS sehen, bestehend aus der deutschen DASA, der französischen
Aérospatiale-Matra und der spanischen CASA. Ein zweites positives
Anzeichen besteht in der Rolle, die das Eurokorps als harter Kern
und speziell sein Generalstab bei der Herausbildung neuer europäischer
Kapazitäten der Machtprojektion spielen könnten.
Diese ersten Anzeichen werden sich allerdings als unzureichend erweisen,
wenn sich Deutschland im übrigen haushaltspolitisch von dem europäischen
Projekt im Bereich der Verteidigung loslöst. Tatsächlich ist der
deutsche Verteidigungshaushalt mit 1,5% des BSP schon jetzt so niedrig
wie kaum ein anderer in Europa, und vor allem ist er zu zwei Drittel
für Personal- und Kasernierungsausgaben bestimmt. Das lässt nur
einen sehr geringen Spielraum für Ausgaben im Zusammenhang mit den
Petersberger Missionen. Die Kürzungen in Höhe von 18 Milliarden
Mark, die das deutsche Finanzministerium im Bereich der Militärausgaben
in den nächsten vier Jahre vorzunehmen gedenkt, würden, sollten
sie Bestätigung finden, die Befähigung der Bundeswehr belasten,
zur militärischen Dimension der europäischen Sicherheitspolitik
ihren Beitrag zu leisten. In diesem Fall hätte Frankreich keine
andere Wahl, als seiner Beziehung zum britischen Partner sowie zu
Italien den Vorrang zu geben, das entschlossen scheint, in Verteidigungsfragen
ebenso zu handeln wie bei der Einführung des Euro.
Die Haushaltsentscheidungen in Berlin werden also von grundlegender
Bedeutung sein.
Eigene Übersetzung des Forum
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